Nigeria – Teil 4: Von missachteten Straßensperren und dem Ärger mit der Einreisebehörde

Nach einer sehr unruhigen und kurzen Nacht bin ich froh endlich unser stickiges und muffiges Zimmer verlassen zu können, auch wenn mir die wenigen Stunden Schlaf ins Gesicht geschrieben sind. Amy ist es ähnlich ergangen. Auch sie lag stundenlang schlaflos wach und fühlt sich wie gerädert. Als wir morgens auf Christos treffen, drängt dieser zur Eile und zu einem raschen Aufbruch. Um kurz vor 6 Uhr morgens sei er unsanft aus dem Schlaf gerissen worden, da jemand laut an die Zimmertür geklopft habe. Wie sich rausstellte handelte es sich um den Hotelbesitzer, der zusammen mit einer dubiosen Person wissen wollte, ob wir heute eine Sicherheits-Eskorte benötigen. Er habe mitbekommen, dass wir hier allein reisen würden und daher würde er uns raten den Schutz gegen ein paar nigerianische Naira in Anspruch zu nehmen. Da Christos das Angebot mehr als zweifelhaft vorkam und wir uns am Abend zuvor bereits gegen die Option entschieden hatten mit bewaffneter Eskorte das nächste Teilstück zu fahren, konnte er das Angebot mit einiger Mühe abgelehnt. Jetzt galt es so schnell wie möglich das Weite zu suchen, um hier nicht noch Opfer irgendwelcher Intrigen zu werden aufgrund des abgelehnten Angebotes. Nachdem wir uns von unserem neu gewonnenen Freund vom gestrigen Abend verabschiedet haben, brechen wir also früh auf, um heute möglichst weit zu kommen. Die Strecke führt durch großartige Landschaften, die oftmals von kleinen runden Felsen, die wie aus dem nichts aufzutauchen scheinen, durchsetzt sind.

Kleine Hütten neben plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Felsen

Doch je näher wir der nächsten größeren Ansiedlung kommen, desto mulmiger wird mir zu Mute. Nicht nur, dass hier die Militär-& Polizeiposten noch mehr Munition und Waffen an sich zu tragen scheinen, sondern auch die Szenerie am Straßenrand verheißt nichts Gutes. Immer wieder fahren wir an kleinen Ansammlungen von Hütten vorbei, die entweder verwahrlost sind oder fluchtartig verlassen wurden – was an herumliegenden Mörsern und Stühlen erkennbar wird. Teilweise sind die Dächer der Hütten verkohlt und runtergebrannt, oder sie glimmen sogar noch. Hier muss vor kurzem Grausames passiert sein und ich möchte mir nicht ausmalen, was genau geschehen ist. Schnell weg hier!

Als wir endlich die nächste größere Stadt erreichen, sind wir froh, dass wir auf Anhieb eine Tankstelle mit ausreichend Diesel-Vorräten für unsere beiden Fahrzeuge finden. Dabei erzählt uns der Tankwart und einige andere umstehende Männer, dass wir nicht die Kidnapping-Road weiter Richtung Norden fahren sollen, da hier gerade immer wieder gewalttätige Übergriffe stattfinden würden und es besser wäre auf Nebenstraßen weiterzufahren. Da wir sowieso vorgehabt hatten zeitnah von der Hauptstraße abzufahren, um so schnell wie möglich über Nebenstraßen in Richtung Osten weiterzukommen, bedeutet diese Info für uns Gott sei Dank kaum eine Planänderung.

Auch auf den sandigen Nebenstraßen wartet ein Checkpoint nach dem anderen auf uns. Doch nicht bei jedem sind wir gewillt anzuhalten. Allzu oft lungern lediglich zivil gekleidete Personen an den aus alten Autoreifen oder Holzstämmen errichteten Blockaden rum, die eine Straßenhälfte versperren. Dabei handelt es sich meist um „local village taxes“, sprich fiktive Dorfgebühren, die dem Passierenden abgenommen werden sollen. Und so kommt es, dass wir am frühen Nachmittag, bei einer weiteren Blockade, anstatt zu bremsen erneut aufs Gaspedal gehen, um unbescholten an einer für uns stark nach Zivil-Blockade aussehenden Straßensperre vorbeizukommen. Nur doof, dass dieses Mal Christos und Amy etwas mehr Abstand zwischen uns und ihrem Auto gehalten haben und als sie den Posten erreichen sich bereits einer der Jungs, der zuvor auf der Blockade geschlafen hatte, aufspringt, um einen großen Holzpfeiler auf die andere Straßenseite zu schieben. Christos schafft es gerade noch rechtzeitig durchzufahren, doch der hinter ihm ebenfalls mit Vollgas fahrende Lastwagen erwischt den Holzblock und schleudert diesen mit großer Wucht zurück. Was dann passiert, hatte von uns keiner erwartet. Wir werden nach ca. 2 Kilometern von einem offiziell aussehenden Immigration-Fahrzeug mit Affenzahn überholt und als wir weitere 2 Kilometer an einem erneuten Checkpoint ankommen, wartet dieses Fahrzeug mitsamt seinen grimmig dreinblickenden Beamten bereits auf uns. Man nimmt uns sofort unsere Pässe ab und befiehlt uns, dem Militärfahrzeug zu folgen – wir hätten großen Ärger verursacht und müssen nun zurück zum vorherigen Straßenposten und dort dem Chef Rede und Antwort stehen. Während Max und ich noch versuchen beschwichtigend auf die Beamten einzureden und zu erklären, dass wir den Kontrollposten fälschlicherweise für eine zivile Straßenblockade gehalten hätten, geben Amy & Christos bereits auf und zeigen uns an, ebenfalls nachsichtig zu sein. Auch wir steigen also wieder in Rotkäppchen und folgen dem Fahrzeug zurück zum Checkpoint.

Dort werden bereits unsere Pässe von einem Beamten zum nächsten gereicht und nach Fehlern gesucht. Uns wird jetzt auch klar, weshalb wir die Straßensperre falsch interpretiert hatten: Die Beamten hatten sich aufgrund der starken Sonne mit ihren Klappstühlen unter einen großen Baum gesetzt und scheinbar ein paar Jugendliche in Zivil dafür bezahlt, sich um die Blockade zu kümmern. Dass dadurch die Blockade nicht als offiziell wahrgenommen wird, war ihnen wohl aufgrund der Mittagshitze herzlich egal gewesen. Doch bei Anblick der zwei Geländewägen mit weißen Touristen waren sie plötzlich aus ihrem Mittagsschlaf hochgeschreckt und hochmotiviert uns nun Geld abzuknöpfen.

Zuerst versuchen sie es auf die offizielle Art und Weise: Uns wird vorgeworfen, dass wir kein korrektes Einreisevisum hätten – sie würden dieses nicht in unseren Pässen finden. Nachdem wir Ihnen das Visum und die dazugehörigen Stempel allerdings in unseren Pässen aufzeigen können und auch in unseren Autounterlagen keine groben Fehler zu finden sind, wendet sich schließlich der vermeintliche Boss der Beamten an uns und gebietet uns nun 10.000 Naira – umgerechnet 25€ – zu bezahlen, da wir den Grenzposten ignoriert hätten und für die getätigte „Rückholfahrt“ dies als Spritgeld anfallen würde. Da wir uns keiner Schuld bewusst sind, da weder der offizielle Charakter der Straßensperre ersichtlich war noch wir irgendwelche sonstigen Fehler uns zu schulde kommen haben lassen, schalten wir erst einmal auf stur. Mein Versuch die Pässe aus den Händen des Beamten zu nehmen, scheitert leider und ich werde angeraunzt, ich solle mich gedulden – gegen 25€ würden wir die Pässe zurückbekommen. Max und ich wollen uns gerade auf das Aussitzen der Angelegenheit einstellen, so wie wir bisher immer erfolgreich derartige Situationen ohne Bezahlung gemeistert haben, da springt Christos auf und sagt dem Beamten, dass er etwas für ihn habe, das sicher mehr wert sei als die geforderten 10.000 Naira. Freudig läuft er zu seinem Auto und kramt eine verstaubte und zerbeulte Verpackung aus dem Kofferraum – ein originalverpacktes Autoradio, das er sich für die Reise gekauft hatte, sich allerdings nicht in das Auto einbauen lies und daher seit Monaten nutzlos im Kofferraum sein Dasein fristet. Die Beamten beäugen den Karton samt Inhalt argwöhnisch, doch man kann bereits in ihren Augen ablesen, dass Christos genau den richtigen Riecher hatte. Man wird sich handelseinig und das Autoradio und unsere Reisepässe wechseln jeweils den Besitzer. Zwar ist das in keinster Art und Weise das Vorgehen, das Max und ich präferieren. Doch in Anblick der fortschreitenden Zeit akzeptieren wir das „Freikaufen durch ein nutzloses Radio“. Christos bekräftigt auch noch einmal, dass er ebenfalls kein Freund von derlei Geschäften ist, allerdings richtig froh wäre nun mehr Platz im Auto zu haben und mit der Aktion mindestens 1-2 Stunden Zeit eingespart zu haben.

Weiter geht’s über die endlosen Straßen – und nach insgesamt 11 Stunden Autofahrt kommen wir endlich bei Einbruch der Dunkelheit in Sethi an. Hier befindet sich das sogenannte „Transit Camp“ – ein Platz, der von einem Nature Reserve genutzt wird und wo neben Ranger-Ausbildungen und Schutzmaßnahmen in der Umgebung auch Veranstaltungen abgehalten werden oder durchreisende Touristen campen dürfen. Es ist gerade noch nebenan eine Hochzeit in vollem Gange und die laute Musik ist nicht unbedingt das, was wir nun nach dieser aufreibenden Fahrt gebrauchen können. Auch die Tatsache, dass es keine Dusche oder irgendeine Waschgelegenheit gibt, macht die Übernachtung nicht gerade besser. Doch endlich wieder die Möglichkeit zu haben im eigenen Zelt übernachten zu können und sich innerhalb des umzäunten Geländes einigermaßen sicher zu fühlen, stimmt uns zufrieden.

Kein Luxus-Stellplatz, dafür ist Rotkäppchen in bester Gesellschaft

Um gegen die sich ankündigenden Regenschauer gewappnet zu sein, reiben wir unsere Zeltplane noch schnell mit Kerzenwachs ein und genießen dann zusammen mit Amy & Christos Avocado-Brot und Linseneintopf. Das haben wir uns nach einem weiteren aufregenden Tag in Nigeria definitiv verdient!

Der nächste Morgen beginnt grün und schleimig. Das hat aber weder mit dem Wetter, noch mit dem Frühstück zu tun. Vielmehr besteht der vermeintliche Besitzer des „Transit Camps“ darauf uns noch seinen ganzen Stolz – nämlich ein Krokodil zu zeigen, das nur wenige Meter von unserem Übernachtungsplatz entfernt leben soll. Doch der Anblick des armen Krokodils, das in einem viel zu klein wirkenden, über und über mit grünem Schlamm durchsetztem Teich lebt, ist deprimierend. Artgerechte Haltung sieht definitiv anders aus. Doch aus Höflichkeit knipsen wir noch ein paar Bilder von dem armen Tier und geben uns beeindruckt gegenüber dem stolzen Besitzer.

Finde das Krokodil im grünen Sumpf

Nach Einklappen der Zelte und einem kurzen Frühstück beginnt schließlich unser letzter Tag in Nigeria. Wir schrauben uns auf kurvenreichen Straßen bis auf 1.700 Meter über Meeresspiegel hoch und kämpfen uns dabei über anfangs von Schlaglöchern zerfressene Straßen, um anschließend über reine Sand-, Stein- und Matschpisten weiterzufahren. Dabei lässt uns die ein oder andere abenteuerliche Brücke immer wieder den Atem anhalten.

Spannende Brückenüberquerungen

Die Landschaft um uns herum ist dabei gigantisch – hohe, komplett grün bewaldete Bergketten säumen hier die Umgebung und wirken zum Teil sehr heimisch auf uns. Amy, die teilweise Verwandtschaft in Schottland hat, fühlt sich nach Europa zurückversetzt und auch wir finden, dass die Bergwiesen mit den nigerianischen Kühen bzw. Zebus doch teilweise stark an das bayerische Voralpenland erinnern.

Die wenigen Passanten, die wir auf der Strecke sehen, winken uns alle begeistert zu und freuen sich über unseren Besuch. Selbst die Erwachsenen und auch die Alten lächeln und mit der Zeit fängt mein Arm vom vielen Winken an zu schmerzen. So viel Freundlichkeit und Gastfreundschaft hätten wir uns in Nigeria nie erträumen lassen.

Gegen Nachmittag erreichen wir schließlich eine Absperrung, an der mehrere Zivilisten rumlungern und wieder einmal auf potenzielle Opfer warten, denen man „local taxes“ abknüpfen kann. Da uns in den letzten Stunden kein Auto begegnet ist, muss sich die frohe Kunde, dass zwei Touristenautos auf dem Weg sind, bis hier herumgesprochen haben. Doch Christos, der dieses Mal wieder die Spitze unseres „Mini-Konvois“ bildet, schafft es mit einer abstrusen Story uns ohne Bezahlung durch die Straßenblockade zu lotsen. Er erzählt dem geschäftstüchtigen Dorfbewohner, dass wir auf dem Weg zum Pastor des Dorfes seien und in ein paar Stunden wieder zurückkommen würden. Da wir nicht doppelt die Gebühren bezahlen wollen, würden wir erst beim erneuten Passieren der Straßensperre unsere „local taxes“ bezahlen. Man merkt, dass die Erwähnung des Geistlichen Eindruck schindet und lässt bereitwillig uns passieren. Zwar ist so eine Notlüge natürlich nicht gerade eine ehrenwerte Strategie, doch sind fiktive und unzulässige Straßengebühren mindestens genauso fragwürdig.

Endlich taucht die nigerianische Landesgrenze vor uns auf. Man kann sich nicht vorstellen, welcher Stein uns dabei vom Herzen fällt. Zwar war die Reise durch Nigeria gigantisch schön und hat gezeigt, dass dieses Land an Herzlichkeit und landschaftlicher Schönheit kaum zu übertreffen ist, doch die Gefahren des potenziellen Kidnappings und die immer wieder zu passierenden Straßensperren haben uns einiges an Kraft und Nerven gekostet.

Endlich an der Grenze zu Kamerun

Im nigerianischen Grenzbüro werden unsere Papiere, Ausweise und Impfpässe kontrolliert. Da Amy & Christos keine Cholera-Impfung vorweisen können, sind die Beamten nicht ganz sicher, ob man sie weiter nach Kamerun einreisen lassen könne. Doch die Prüfung der Körpertemperatur der beiden stimmt die Beamten zufrieden und sie entkommen der angedrohten Vor-Ort-Impfung, die sicher nicht gerade steril und wohlmöglich mit fragwürdigen Impfstoffen durchgeführt worden wäre. Noch einmal Glück gehabt!

Wie so oft stellen wir fest, dass auf der anderen Seite der Grenze uns ein ganz anderes Bild erwartet als im angrenzenden Nigeria – auch wenn die beiden Länder Nigeria und Kamerun nur durch wenige hundert Meter Transitland voneinander getrennt sind. Allein die Landschaft scheint hier noch hügeliger und grüner zu sein und dicke, schwerbeladende „Pinzgauer“ warten hier an der Grenze. Dabei handelt es sich um ausrangierte, österreichische Militärfahrzeuge mit 6×6 Antrieb, die dafür bekannt sind in schwierigstem Gelände steile Hänge erklimmen zu können. Ganz wie ihre namensgebenden tierischen Artgenossen, den Pinzgauer Rindern, die sich einen Namen gemacht haben mit ihrer Trittfestigkeit in steilen Gebieten. Diese Fahrzeuge – so erzählen uns die Einheimischen – sind die einzigen stabilen und zuverlässigen Vehikel, die es schaffen die roten Schlammpisten Kameruns im Hinterland zu befahren und Waren von A nach B zu befördern. Eine böse Vorahnung, welche Straßen uns in den kommenden Tagen erwarten werden, steigt in uns auf.

Doch erst einmal gilt es sämtliche kostenpflichtigen Stempel wegzudiskutieren und offiziell nach Kamerun einzureisen. Da es bereits dunkel wird und sich auch eine Regenfront am Horizont ankündigt, beschließen wir heute Nacht an der Grenze zu übernachten. So schlagen wir nahe eines kleinen Flussbetts, direkt neben der Straße unser Nachtquartier auf und bereiten Abendessen zu. Die wenigen Passanten, die um diese Uhrzeit noch die Straße entlanglaufen, schauen neugierig zu uns herüber, lass uns aber grundsätzlich in Ruhe. Während wir gerade im Schein unserer Stirnlampen am Abwaschen unseres Geschirrs sind, öffnet sich plötzlich der Himmel über uns und ein gigantischer Regenguss bricht über uns herein. Klatschnass flüchten Max und ich ins Auto, während Amy & Christos in ihrem Dachzelt Schutz vor den Wassermassen suchen. Die ganze Nacht über regnet es wie aus Kübeln – keine guten Voraussetzungen für die auf uns wartenden roten Sandstraßen Kameruns.