Der Tag startet mit einem erneut liebevoll von Robert zubereitetem Omelette und während wir dieses genussvoll verzehren, erreicht uns die freudige Nachricht unserer Freunde, dass ihr Auto abholbereit ist und wir Lagos heute gemeinsam verlassen können. Das bedeutet für uns, Rotkäppchen wieder beladen wird, wir Abschied von Jaco & Robert nehmen und auf geht’s zu einer Fahrt ins Ungewisse.


Auf der endlos lang dauernden und kräftezehrenden Fahrt raus aus Lagos und rein nach Benin City bekommen wir einen kleinen Vorgeschmack darauf, was uns die nächsten Tage so erwarten wird. Bestens ausgebaute Asphaltstraßen verwandeln sich abrupt in überflutete Schlammpisten und unzählige Polizei-Stopps von mehr oder weniger seriös wirkenden Beamten erschweren das Vorankommen. Da wir uns mit unseren Freunden auf eine täglich wechselnde Verantwortung geeinigt haben – sprich jeden Tag übernimmt ein Auto die Vorhut und die Navigation – genießen wir es an unserem ersten gemeinsamen Tag als Konvoi die zweite Position einnehmen zu dürfen und bei den meisten Polizeistopps lediglich lächelnd und freundlich winkend hinter unseren Freunden durchgewunken zu werden. Natürlich im vollen Bewusstsein, dass dies am nächsten Tag unsere Verantwortung sein würde. Als wir schließlich vollkommen durchgeschwitzt und kaputt von der anspruchsvollen Strecke Benin City am späten Nachmittag erreichen, ahnen wir noch nicht, dass wir weitere zwei Stunden brauchen würden, um uns einmal durch die vollkommen überfüllte und chaotische Großstadt zu stauen. Auch das Vorhaben auf dem Weg zu unserer heutigen Unterkunft noch einen Bankautomaten aufzutreiben, der tatsächlich Bargeld ausspuckt, verlangt uns nochmals einiges ab: Nach 6 Anläufen bei 3 unterschiedlichen Banken halten wir endlich zufrieden ein dickes Bündel Bargeld in den Händen.
Bei Einbruch der Dämmerung erreichen wir durchgeschwitzt aber glücklich unsere Schlafstätte. Dabei handelt es sich um das verlassene Familienhaus von Bekannten von Amy & Christos, die früher hier gelebt haben und deren Anwesen nun ungenutzt leer steht. Von einem der zwei Wachmänner, die hier tagtäglich das Anwesen schützen, werden wir freundlich empfangen und auf das riesige Grundstück gelassen. Es handelt sich um ein ehemals sehr prunkvolles Herrenhaus, das mit jeglichem Schnickschnack ausgestattet ist – einschließlich kleinem Wassergraben und Zierbrücke. Dass hier seit einigen Jahren keiner der Besitzer mehr vorbeigesehen hat, merken wir, als wir uns Zutritt zum Gebäude verschaffen, das noch komplett mit Möbeln ausgestattet ist, allerdings zentimeterdicke Staubschichten auf den Schränken und Sitzgelegenheiten aufweist und zudem von Spinnen nur so wimmelt. Unsere Entscheidung draußen im Garten zu nächtigen, wird damit trotz sich ankündigenden Regenfront nochmals untermauert. Nachdem wir uns gemeinsam ein paar Brote geschmiert haben und unsere weitere Reiseroute ausdiskutiert haben, fallen wir ziemlich erschöpft in unsere Zelte. Es gilt Kraft für die nächsten Tage in Nigeria zu tanken.
Auch der kommende Tag verspricht anstrengend zu werden. Wir haben mehrere hundert Kilometer vor uns und die Straßenverhältnisse lassen regelmäßig zu wünschen übrig. Dieses Mal sind Max und ich für die Navigation und das Abwimmeln der Polizeistopps zuständig. Andauernd werden wir angehalten und nach unseren Ausweisen, unserem Reiseziel und den obligatorischen Geschenken gefragt. Hinsichtlich unseres Reiseziels haben wir uns mit unseren Freunden auf das Nennen von falschen Orten geeinigt, da wir uns langsam aber sicher der für Kidnapping von weißen Reisenden bekannten Gegend nähern und wir vermeiden wollen, dass korrupte Beamte uns an potenzielle Kidnapper verraten können. Zwar fühlt sich dieses Verhalten und Anlügen der Beamten nicht wirklich richtig und etwas paranoid an, doch wollen wir hier lieber auf Nummer sicher gehen. Bei der Frage nach Geschenken kommen wir meist mit einem Lächeln und ein bisschen freundlichem Small-Talk davon. Doch bei einem der unzähligen Stopps werden wir vollkommen überrumpelt:
Schon beim langsamen Ausrollen unseres Autos am Schlagbaum erwarten uns drei in Camouflage-Anzügen bekleidete und mit Gewehren und Munitionsgürteln bewaffnete Soldaten. Diese stellen uns gleich die uns allzu bekannte Frage „Hey, my friend, what did you bring for us? We want a present from you!“ Max‘ etwas genervte Antwort: „Hello friend. We are tourists from Germany and we are guests in your country! In Germany guests never have to bring presents, but they rather get a present from their hosts. So what do you have for me?” Ich werde etwas nervös, denn bei einem derart mit Munition und Waffen ausgestatteten Kontrollposten weiß ich nicht, ob das wirklich die beste Taktik ist, um hier schnell durchgelassen zu werden. Wer weiß, ob die Jungs hier tatsächlich Spaß verstehen! Doch nachdem der Soldat Max lange gemustert hat, kommt seine unerwartete Antwort: „Well, do you want some beer?“ Max und ich können unseren Ohren nicht trauen und wissen nicht so Recht, ob er das gerade ernst meint oder im nächsten Moment in einen Tobsuchtsanfall ausbrechen wird. Doch tatsächlich, auf Max‘ Antwort „We always want beer!“ setzt sich der Soldat in Bewegung und zeigt uns per Armbewegung an, dass wir kurz warten sollen. Nach einigen Minuten in seiner kleinen Holzhütte am Straßenrand kommt er mit einer Plastiktüte zurück, drückt sie mir in die Hand und wünscht uns eine gute Weiterreise. Der Schlagbaum wir geöffnet und wir und unsere Freunde können weiterfahren. Vorsichtig öffne ich die Plastiktüte und tatsächlich kommt eine nigerianische Bierdose zum Vorschein – die der Soldat vermeintlich zuvor einem anderen Passanten abgenommen hatte. Das war sicherlich das Letzte, was wir erwartet hätten. Nigeria, du überrascht uns immer wieder aufs Neue!

Abends erreichen wir nach erneut mehr als 10-stündiger Fahrt Ikom in der Nähe der Grenze nach Kamerun. Hier wollen wir die Nacht verbringen und am nächsten Tag versuchen über die Grenze zu gelangen. Nach einigem Suchen finden wir schließlich einen Komplex, der von der Straße sicher abgeriegelt ist und primär Hilfsorganisationen vom Roten Kreuz und den Friedenscorps zu beherbergen scheint. Nicht ganz sicher, ob dies ein gutes Zeichen ist oder ein perfektes Anschlagsziel abgibt, parken wir unsere Autos im Hof und beziehen die kargen Zimmer. Am Abend setzt starker Regen ein, der die ganze Nacht unaufhörlich auf das Wellblechdach über uns trommelt und sintflutartig sämtliche Straßen und Fußwege in matschige Bäche verwandelt. Die ganze Stadt scheint unter Wasser zu stehen und das Kaufen von Brot am nächsten Morgen wird zur Herausforderung, da man kaum trockenen Fußes bzw. matschfrei auf die andere Straßenseite gelangt und viele der Brote Regen oder zumindest Feuchtigkeit abbekommen zu haben scheinen. Auch mein Plan mit FlipFlops statt Turnschuhen dem Wetter zu trotzen stellt sich dabei als Fehler heraus, da ich mir mit jedem Schritt Schlamm gegen die Beine und meine frisch gewaschene Kleidung spritze. Die anschließende Suche nach einer Tankstelle nimmt ebenfalls einiges an Zeit in Anspruch, da erst bei der dritten und letzten (!) Tankstelle des Ortes noch Diesel vorhanden ist. Scheinbar ist schon seit längerem kein Tanklaster mehr unbeschadet hier angekommen und daher der Sprit knapp.
Ohne Frühstück, dafür frisch aufgetankt und mit frischem Brot im Gepäck starten wir schließlich gen Ekok, der Grenze nach Kamerun. Zwar haben wir bereits in Foren gelesen, dass der Grenzübertritt Touristen hier oftmals verweigert wird, doch wir wollen uns selbst ein Bild von der Lage machen und bestenfalls noch heute nach Kamerun einreisen. Auf der Fahrt werden wir mehrmals von diversen Beamten angehalten, die in langwierigen Prozessen unsere Daten in ihre dicken Bücher eintragen. An einer Straßensperre von Jugendlichen eines Dorfes, die uns nur Geld abnehmen wollen, kommen wir mit viel Geduld ebenfalls erfolgreich und ohne Zahlung durch und erreichen so schließlich die Grenze. Dabei handelt es sich um einen Grenzposten auf nigerianischer Seite, der mittels einer langen Brücke über den Fluss „Cross River“ mit der kamerunischen Grenze verbunden ist. Da zig einheimische Autos vor uns in einer langen Schlange auf die Abfertigung warten und wir niemanden finden, der uns eine Aussage dazu machen kann, ob wir nach Kamerun einreisen dürfen, machen sich schließlich Amy & ich mit allen Auto-Unterlagen und unseren Pässen auf den Weg zu den Grenzhäuschen, während die Jungs bei den Autos zurückbleiben. Im Büro auf der nigerianischen Seite nimmt man uns sofort unsere Pässe ab und beginnt die darin festgehaltenen Daten in Bücher abzuschreiben. Unser Protest, dass wir noch gar nicht wissen würden, ob wir nach Kamerun einreisen dürfen, wird einfach ignoriert. Schließlich erbarmt sich einer der Beamten und erlaubt uns ohne unsere Ausweise den Schlagbaum zu passieren und die große Brücke nach Kamerun zu überqueren, um dort nach einer Einreiseerlaubnis zu fragen. Die sich an uns vorbeistauende Autokolonne, gepaart mit den schwer bewaffneten Grenzsoldaten, die uns immer wieder den Weg versperren und nach unseren Einreisedokumenten fragen, lassen uns an unserem Plan mittels weiblichen Charmes eine Einreisegenehmigung für uns vier zu bekommen zweifeln. Endlich sind wir auf der anderen Seite des Flusses. Auf unser „Hallo“ werden wir erst einmal ruppig angeschnauzt, ob wir denn kein französisch sprechen können. Dazu muss man wissen, dass Kamerun aufgrund seiner kolonialen Geschichte englisch- und französischsprachig ist und aktuell große Ausschreitungen an der Grenze zu Nigeria stattfinden, da die anglophone Bevölkerung, die vornehmlich im westlichen Teil Kameruns lebt, sich von den frankophonen Teilen Kameruns und der Regierung unterdrückt fühlt und daher gewaltsam gegen diese Unterdrückung vorgeht. Nicht sicher, ob wir es nun wirklich mit einem frankophonen Grenzbeamten zu tun haben, oder ob er uns nur auf unsere politische Zugehörigkeit testen möchte, antworten wir zögerlich auf französisch. Das scheint ihn etwas zu beruhigen. Wir erfahren, dass hier kein Durchkommen für Touristen ist, da die Gefahr groß ist im nächsten Dorf von anglophonen Rebellen gekidnappt und als Druckmittel gegen die Regierung verwendet zu werden. Mein Einwand, dass ja auch viele anderen Personen hier die Grenze überqueren würden, wird mit einem lauten Lachen zunichte gemacht. Man würde ja von Weitem sehen, dass wir sehr geeignete Kidnapping-Opfer abgeben würden, wohingegen die Einheimischen wüssten, wo sie langfahren und sich sicher aufhalten können. Auch der Versuch eines anderen Grenzers uns zu helfen und sich als Leibwächter anzubieten, wird von seinem Vorgesetzten barsch abgelehnt. Wir werden etwas unsanft aus der Hütte der Grenzbeamten geschoben und treten geknickt den Rückweg an. Höchstwahrscheinlich hätte man gegen einen gewissen Betrag eine Einreisegenehmigung sich erkaufen können – doch die Vehemenz des Beamten mit der er die Gefahren für uns beschrieben hat, lässt uns davor zurückschrecken. Also müssen wir wohl doch noch einige Tage länger in Nigeria bleiben und uns über die berüchtigte Kidnapping-Road den Weg zur nächstgelegenen Grenze im Norden bahnen. Weitere hunderte Kilometer warten also auf uns und zudem das Wissen, dass die Straßen schlechter und die Gegend gefährlicher werden. Na dann, Prost Mahlzeit!
Nach zähen Diskussionen mit den nigerianischen Grenzbeamten, denen wir klar machen, dass wir nicht nach Kamerun einreisen dürfen und daher auch nicht weiter in irgendwelche Bücher eingetragen werden müssen und einfach nur unsere Reisedokumente zurückbekommen wollen, werden uns schließlich unsere Pässe ausgehändigt. Wir drehen um und fahren die Strecke zurück nach Ikom. Von dort aus wollen Max und ich eigentlich so schnell wie möglich zur nächsten Grenze gelangen. Doch Amy hat andere Pläne. Sie hat sich in den Gedanken verliebt, die vom Aussterben bedrohten Afi Mountain Drill Monkeys im gleichnamigen Gebirge der Afi Mountains zu besuchen. Ihr Argument, dass man nie weiß, ob man jemals wieder die Gelegenheit dazu bekommt, ist natürlich richtig. Unser Argument, dass wir dadurch einen Tag zusätzlich in einem sehr unsicheren Teil Nigerias verbringen und nicht einmal wissen, wie die Straßenbeschaffenheit dorthin ist, lässt sie nicht zählen. Wir sind hin und hergerissen. Einerseits hört sich die zu besichtigende Auffangstation im Nirvana Nigerias wirklich interessant und nach einer „Once-in-a-lifetime“-Chance an, doch wir wollen vorankommen. Ein Trennen von unseren Freunden kommt für uns nicht in Frage, da wir dadurch noch angreifbarer und vor allem im kommenden Streckenabschnitt zu einer willkommenen Zielscheibe für ein Verbrechen werden würden. Schließlich lenken wir ein und einigen uns, dass wir einen kurzen Abstecher zu den Affen unternehmen und dann möglichst zügig weiterfahren.



Aus dem „kurzen Abstecher“ wird leider eine strapaziöse und mehrstündige Fahrt ins nigerianische Hinterland. Über schlaglochdurchsetzte Straßen zuckeln wir durch immer dichter werdenden Regenwald und die immer wieder einsetzenden Schauer lassen uns zunehmend an unserem Vorhaben zweifeln. Obwohl uns kaum Personen auf dieser Strecke begegnen, keine nervigen Polizeikontrollen weit und breit sind und die wenigen Menschen, die uns sehen, entweder erschrocken weglaufen, oder uns verwundert nachsehen, haben wir doch ein wenig Respekt vor dieser schwer einzuschätzenden Sicherheitslage. Endlich erreichen wir ein kleines Dorf kurz vor der Afi Mountain Drill Ranch. Gleich bildet sich eine dicke Traube an Menschen um das Auto von Amy & Christos, die heute wieder die Pool Position unseres 2-Auto-Konvois eingenommen haben. Während die Kinder ihre Gesichter an die Autoscheibe drücken, um einen Blick ins Wageninnere zu erhaschen, machen sich die Erwachsenen geschäftstüchtig daran, fiktive Gebühren für das Passieren der Dorfstraße zu verlangen. Wir sind froh, nur stille Beobachter der Szene sein zu können.

Nach 30 Minuten Diskussion, Preisverhandlung und Gefeilsche dürfen wir passieren und fahren weiter durch kleine Flüsse und über waghalsige Sandabschnitte in Schrittgeschwindigkeit der Sanctuary entgegen. Die aufleuchtende Warnleuchte unseres Autos, die ankündigt, dass wir zeitnah über mehrere Kilometer mindestens 60 km/h oder schneller fahren sollten, um unseren Dieselfilter wieder freizubrennen, hebt dabei nicht gerade die Stimmung.
Doch als wir dann an der weit abgelegenen Auffangstation ankommen, um uns herum nichts als grüne Berge und Regenwald, ist der ganze Stress, die Angst um unsere Sicherheit und jegliche Aufregung über die geschäftstüchtigen Dorfbewohner vergessen. Wir sind in einem kleinen tropischen Paradies angekommen, wo wir einmal tief durchatmen und uns voll und ganz den Affen widmen können. Dabei werden wir von einem der langjährigen Mitarbeiter der Sanctuary herzlich empfangen und eine Stunde lang über das Gelände geführt. Es geht zuerst zum großen Drill Monkey Gehege, wo diese sich frei bewegen können und bereits so aufgepäppelt wurden, dass sie bald soweit sind, um wieder in die Wildnis entlassen zu werden. Man erklärt uns allerdings, dass dieser letzte Schritt – nämlich die Rückführung der Tiere in die Natur – oftmals mit Schwierigkeiten und großen Herausforderungen, wenn nicht sogar mit tödlichen Gefahren für die Tiere verbunden sind. Da Drill Monkeys Rudeltiere sind, werden diese auch nur als Rudel inklusive einem starken männlichen Anführer ausgewildert. Dabei kommt es immer wieder neben blutigen Revierkämpfen mit konkurrierenden anderen wilden Rudeln zu der Gefahr der Abholzung des Gebiets oder der Jagd der Tiere durch die umliegenden Dörfer, die es auf das sogenannte Bushmeat abgesehen haben. Daher gilt es vor dem Aussetzen der Tiere langfristig sichere Gebiete zu identifizieren, damit die mühsame Arbeit des Tierschutzes und der Wiederauswilderung nicht umsonst gewesen ist.

Da Max und ich nicht mit speziellen Erwartungen in die Sanctuary gekommen sind, sind wir begeistert von den großen und kräftigen Tieren. Vor allem die Männchen und insbesondere die Anführer bzw. Anwärter für dieses Amt beeindrucken uns mit ihrer Größe, Farbenpracht und ihrer Dominanz, die sie sämtlichen anderen Tieren um sich herum spüren lassen. Hier wird nichts dem Zufall überlassen und die Rangordnung bestimmt, wer wann essen darf bzw. sich wo aufhalten. Besonderes Merkmal der Drill Monkeys ist das leuchtende Hinterteil der Männchen, das violett-lila-rötlich schimmert. Je ausgeprägter die Farbpracht, desto ranghöher ist das Tier.










Wir reißen uns von dem wilden Treiben im Gehege los und laufen weiter zu einem zweiten riesig großen Areal. Hier werden die noch nicht selbstständig lebensfähigen Tiere gehalten. Dabei handelt es sich primär um Tiere, die von Einheimischen aufgelesen und vorbeigebracht wurden. Meist sind dies Waisenbabys, deren Eltern aufgrund des Affenfleisches getötet wurden und aufgrund des geringen Fleischanteils zurückgelassen. Wir sehen der Affenfütterung zu, wobei einer der Tierpfleger sich wagemutig mit einem Schubkarren voll Nüsse ins Gehege begibt und unter den wild umherturnenden Tieren das Futter verteilt.
Man erzählt uns, dass es hier auch schon diverse Angriffe der Tiere auf die Pfleger gegeben habe und daher die Fütterung meist unter Aufsicht einer zweiten Person stattfindet. Wir sind froh, dass wir von draußen hinter einem gesicherten Elektro-Zaun das Ganze beobachten können.




Weiter geht’s zum nächsten Bereich – hier werden Schimpansen gepflegt. Ursprünglich war dies nicht das Ziel der Drill Ranch hier Schimpansen aufzunehmen und aufzupäppeln. Doch als die ersten Tiere aus Gefangenschaft und mit Misshandlungen eintrafen, überwog die Liebe zu den Tieren und man entschied sich auch diese Primatengattung zu pflegen. Wir merken gleich, dass die Tiere hier – im Vergleich zur Chimpanzee Sanctuary in Sierra Leone – deutlich mitgenommener und ramponiert aussehen. Und tatsächlich bestätigt man uns, dass diese Tiere leider nie ausgewildert werden können, da sie einfach zu lange in Gefangenschaft verbracht haben und entweder nicht mehr fähig für das Überleben in der Wildnis wären, oder selbst zur Gefahr für Menschen werden könnten – aufgrund ihrer Aggressionen gegenüber Menschen, die durch das Halten in Gefangenschaft entstanden sind. Auch hier werden die Tiere vor unseren Augen gefüttert. Das Besondere: Die Schimpansen erhalten Kokosnüsse, die sie zuerst kraftvoll mit beiden Händen gegen Steine oder Baumstämme klopfen, bis sich ein kleines Loch am Rand der Kokosnuss gebildet hat. Dann wird dieses mit Hilfe der scharfen Tierzähne aufgebissen und anschließend das leckere Kokoswasser getrunken, um nachgelagert das Fruchtfleisch zu verzehren.





Wir streifen noch einige Zeit über das Gelände, entdecken neben bunten Schmetterlingen und Eidechsen noch zwei ausgebüchste Drill Monkeys, die sich scheints unbeeindruckt vom Elektrozaun über die Abzäunung geschwungen haben. Obwohl die Schlafgelegenheiten hier in der Drill Ranch in Form von auf Holzstelzen stehenden Hochdecks mit Blick auf das Drill Monkey Gehege zum Verweilen einladen, entscheiden wir uns schweren Herzens weiterzufahren. Wir haben noch einiges an Wegstrecke die nächsten Tage vor uns und der Wetterbericht kündigt baldige Regenschauer an, welche die Strecke zur nächsten Grenze unbefahrbar machen können. Daher sind wir gezwungen Strecke zu machen und kehren dem Regenwaldparadies den Rücken, um auf schlechten Straßen weiter gen Norden zu gelangen.

Nach stundenlanger Fahrt und einem lustigen Stopp am Straßenrand, bei dem ich für uns leckere Mangos für umgerechnet wenige Cents erstehen konnte, erreichen wir endlich unser heutiges Tagesziel. Die einzige Unterkunft, die sich auf dieser Strecke auffinden lässt, ist „Taps Place“. Ein dunkles, stickiges und v.a. staubiges Gebäude, aus dem man am liebsten gleich rückwärts wieder rausgehen möchte. Aber es hilft nichts – es ist das einzige umzäunte Gebäude weit und breit, das laut einiger anderer Reiseblogs einigermaßen sicher erscheint. Das uns zugewiesene Zimmer starrt vor Dreck. Ein undefinierbarer Fleck, der verdächtig nach Blut aussieht, ziert den jahrzehntelang nicht mehr gereinigten Teppich. Das Bad besteht aus einem einzigen Loch im Boden, das sowohl fürs Duschen als auch für den Toilettengang genutzt wird. Leider gibt es aber weit und breit kein Wasser, womit man sich reinigen könnte. Nach zweimaliger Nachfrage bringt der mürrische Hotelbesitzer schließlich einen Eimer mit Wasser in unser Zimmer. Doch da es bereits dunkel wird, beschließen wir das Duschen auf später zu verschieben und uns noch schnell auf die Suche nach etwas Essbarem zu machen. Vor der Unterkunft treffen wir auf einen anderen Gast – einen Dozenten, der hier gerade Fortbildungen hält und sehr interessiert an uns und unserer Reise ist. Wir sind hin und hergerissen zwischen unserem Drang mehr Zeit mit diesem freundlichen und interessant wirkenden Gesprächspartner zu verbringen und der Angst hier an jemanden zu geraten, der einen ggfs. an potenzielle Kidnapper verraten könnte. Wir einigen uns mit unseren Freunden, dass wir dem Fremden nicht unsere tatsächliche Reiseroute verraten werden und ihn nur mit den nötigsten Infos versorgen, jetzt aber nicht aus Paranoia komplett auf diese Begegnung verzichten wollen. Und so kommt es, dass wir unseren 4. Vorsatz für Nigeria – nämlich nie mit Fremden mitzugehen – und unseren 5. Vorsatz – nie im Dunkeln zu Fuß unterwegs zu sein – über Bord werfen und uns zusammen mit ihm und zwei weiteren Gästen auf den Weg in Richtung Dorfzentrum machen, um dort Essen zu kaufen. Dabei laufen wir gut 20 Minuten über kleine Trampelpfade vorbei an verschüchterten Kindern und neugierig dreinblickenden oder winkenden Erwachsenen durch die Abenddämmerung. Die Hauptstraße, wird uns geraten, sollten wir zu Fuß um diese Uhrzeit vermeiden, da dies zu unsicher sei und zum Kidnapping einladen würde. Hier zwischen den Hütten der Familien wären wir sicher. Als wir endlich im Zentrum ankommen, ist es bereits dunkel. Es gibt zwei Kneipen am Dorfplatz, wovon die erste neben alkoholfreien Getränken auch Essen zum Mitnehmen verkauft, während die andere Kneipe nur alkoholhaltige Getränke anbietet. Wir laden unsere Begleitung auf ein Bier ein, während wir auf unser Essen zum Mitnehmen warten. Dabei können wir aufgrund der Dunkelheit in dem Gebäude nicht identifizieren, was genau in den jeweiligen Töpfen vor sich hinköchelt. Wir müssen vielmehr auf den Geschmack unserer Begleiter vertrauen. Diese lassen es sich nicht nehmen uns zum Essen einzuladen und die Rechnung zu bezahlen. Wieder einmal zeigt sich die wahnsinnige Gastfreundschaft, die Nigeria so auszeichnet.
Mit undefinierbarem Essen bewaffnet geht es über die dunklen und von Stolperstellen überzogenen Wege wieder zurück zu unserer muffigen Unterkunft. Da die Mücken in Schwärmen um unsere Köpfe kreisen und wir keine Lust haben uns hier in Nigeria Malaria einzufangen, setzen wir uns widerwillig in den stickigen Vorraum der Herberge und packen unser Essen aus. Dabei handelt es sich um Pap-Brei aus Hirsestampf und dazu eine scharfe, undefinierbare Soße mit Melonenkernen in der diverse Teile bzw. Innereien eines Hühnchens (?) schwimmen. Augen zu und durch! Während Christos es sich nehmen lässt zusammen mit unserem Begleiter die Mahlzeit mit der rechten Hand zu essen, reicht uns bereits die Geschmacksherausforderung. Zusätzlich erschwerend kommt hinzu, dass die Glühbirne, die über dem Esstisch baumelt, alle zwei Minuten aufhört zu leuchten, da der Generator der Unterkunft regelmäßig seinen Geist aufgibt und es hier im Dorf keine normale Stromversorgung gibt. Und so sitzen wir mit Stirnlampen bewaffnet am Tisch, um die immer wieder spontan eintretende Dunkelheit mit unseren Lampen zu begegnen. Ein Abendessen der etwas anderen Art. Gegen 9 Uhr abends verabschieden wir uns von dem freundlichen Dozenten und gehen in unsere Zimmer. Trotz des Inlay Schlafsacks, der zumindest eine dünne Schicht zwischen mich und der dreckigen Bettdecke bringt, kann ich kaum schlafen. Nicht nur die muffige und drückend heiße Luft hält mich wach, auch die Sorge, dass nachts jemand über den Zaun steigen und entweder Rotkäppchen aufbrechen, oder gar in unser Zimmer kommen könnte, um uns auszurauben oder zu entführen lässt mich nicht einschlafen. Während Max vollkommen erschöpft von der Autofahrt tief vor sich hindöst, liege ich wach und denke an die Herausforderungen des nächsten Tages, an dem wir Teile der berühmt, berüchtigten Kidnapping-Road hinter uns bringen müssen (wir übernachten genau am Anfang davon). Vielleicht hätten wir doch lieber in Ekok über die Grenze nach Kamerun fahren sollen…?!