Pünktlich zum Sonnenaufgang lässt der Regen nach und wir klettern ziemlich verknittert aus dem Zelt. Die Nacht war kurz und wir ahnen, dass der Tag weitere Herausforderungen für uns bereithält. Um uns rum ist schon geschäftiges Treiben – die einen machen sich fertig für die Kirche und beginnen im großen Kirchensaal Plastikstühle hin- und herzurücken, die anderen (zumeist Muslime) sind mit morgendlicher Routine wie Wasserholen oder Kinder waschen beschäftigt. Ein ganz normaler Sonntag in Koindu eben – wären da nicht die zwei weißen Touristen, die doch einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor allem, als wir anfangen Kaffee zu kochen und unser Zelt zusammenzuklappen gesellen sich einige Schaulustige um uns.

Auch Mary und der Pastor sind da und freuen sich riesig über unsere Spende für das Waisenprojekt (Fußballtrainingsanzüge und zwei Fußbälle).

Danach bestehen beide darauf, dass einer der Söhne des Pastors uns zur Grenze begleitet und sicherstellt, dass wir gut nach Guinea kommen. Zuerst sind wir skeptisch und wehren das Angebot dankend ab. Doch als sich herausstellt, dass der begleitende Sohn hier in der Gegend als Polizist tätig ist, lassen wir uns überzeugen. Eigentlich kann das nur den ein oder anderen Prozess beschleunigen und von Vorteil sein.

Und so fahren wir – nach einer mehr als herzlichen Verabschiedung – kurze Zeit später hinter dem Motorrad des Polizisten her über ausgespülte und aufgeweichte Straßen, die der nächtliche Regen hinterlassen hat.

An der Grenze von Sierra Leone angekommen, empfängt uns ein verlassener Schlagbaum, um dem rum in verstreuten Hütten ein paar Männer rumlungern und Kinder davor spielen. Eine typische, kleine Grenze, die wohl in den letzten Jahren kaum Touristen zu Gesicht bekommen hat. Gut, dass wir unseren Begleiter dabeihaben – ohne ihn wäre an diesem Sonntag wohl nicht viel zu machen gewesen.
Die richtigen Personen für die Pass- und Autopapierbearbeitung werden ausfindig gemacht und gebeten uns ausreisen zu lassen. Allerdings ist dies ein mehr als mühsamer Prozess, da zuerst der Chef der Immigration angerufen werden muss und die offizielle Vorgehensweise bei Touristen erfragt werden muss. Jeder Schritt wird dann per Handy fotografiert und an den Chef per WhatsApp zur Kontrolle weitergeschickt. Dabei ist der Analphabetismus des bearbeitenden Beamten leider nicht von Vorteil. Am liebsten würden wir ihm anbieten, dass wir die Schreibarbeit übernehmen, aber das könnte falsch aufgefasst werden. So üben wir uns mal wieder in Geduld und warten, bis der 1-stündige Ausreiseprozess abgeschlossen ist und wir nach Guinea weiterfahren dürfen. Doch dies war erst der Anfang des Grenzübertritts. Da Sierra Leone und Guinea an dieser Grenze durch einen breiten Fluss getrennt sind, ahnen wir bereits, dass noch eine Herausforderung auf uns wartet.
Und so ist dem auch: Eine Fähre, die an einem Stahlseil hängend über Rollen von einem Ufer zum anderen gezogen wird, erwartet uns.

Doch bevor es auf die Fähre geht, muss zuerst der Preis verhandelt werden. Dafür lässt man sich mit einem schmalen Passagierboot auf die andere Seite des Flusses stalken, um sich dort mit dem „Fährmeister“ auf einen Fahrpreis zu einigen. Am anderen Ufer angekommen, erfahren wir sogleich, dass die Fähre eigentlich nicht funktioniert, da das Ufer auf der Sierra Leone Seite zugesandet ist und die Fähre nicht anlegen kann. Zudem ist der Motor kaputt, weshalb nur mittels Holzstangen das Gefährt bewegt werden kann. Das würde also für uns bedeuten, dass wir entweder hier nicht übersetzen können oder wir die Hälfte des Flusses zuerst mit dem Auto durchqueren müssen, um dann vom Fluss aus auf die Fähre zu fahren. Ob das machbar sei, wissen sie nicht, aber man könne es ja mal probieren.

Der Preis der Überfahrt liegt bei 55 € eröffnet man uns und sei vorab zu entrichten. Ein vollkommen absurder Preis, zumal nicht einmal garantiert ist, dass wir überhaupt durchs Wasser mit Rotkäppchen auf die Fähre kommen. Das Risiko das Auto im Fluss zu versenken liegt schließlich komplett bei uns. Da wir nun wieder auf Guinea-Seite und somit im französisch sprachigen Land sind, versuchen wir mit unserem freundlichsten, gebrochenen Französisch den Preis zu drücken, wohl wissentlich, dass wir am Ende von dem Fährmeister und seiner Crew abhängen. Wir vereinbaren, dass wir uns erst einmal wieder auf die andere Seite des Ufers übersetzen lassen, um festzustellen, wie viel Geld wir überhaupt bei uns tragen. Also wieder in das Boot und zurück ans andere Ufer. Die Zahl der Schaulustigen wird natürlich auf beiden Seiten zunehmend mehr – immerhin möchte man sich dieses seltene Schauspiel einer Fährüberquerung und das Ganze zudem noch mit zwei weißen Touristen nicht entgehen lassen.

Wir kramen also unsere letzten Leone zusammen (umgerechnet 22 Euro) und bieten sie dem Fährmeister an. Dieser fängt heftig an zu diskutieren, doch wir können ihm verständlich machen, dass wir kein weiteres Bargeld an uns tragen und die nächste Bank mehrere 100 Kilometer auf beiden Seiten entfernt liegt und daher keine Option darstellt – unsere CFA, Euro & Dollar-Reserven lassen wir dabei natürlich unerwähnt. Vor sich hin schimpfend steckt er schließlich das Geld ein und gibt mir zu verstehen, ich solle mit ihm ans andere Ufer kommen und dort sämtliche Grenzformalitäten regeln, während Max sich um die Auffahrt auf die Fähre vom Sierra Leone Ufer aus kümmert. So geht es für mich mit sämtlichen Ausweisen und Papieren und unserem mürrischen Fährmann also wieder per Boot auf die andere Seite. Während der Fahrt schaffe ich es dann im gebrochenen Französisch den Fährmeister wohlwollend zu stimmen. Ein Austausch von Adresse und Telefonnummer (statt München wohnen wir nun in Nürnberg 😉) macht ihn glücklich – denn eine deutsche Freundin hätte er noch nie gehabt. Somit ist zumindest das Thema „Bezahlung Fähre“ schon einmal vom Tisch.
Am Guinea Ufer fragt er mich, ob ich denn schon genug Geld fürs Passstempeln etc. dabei hätte – das wäre hier teuer. Ich verneine und deute nur auf seinen Stapel Geld, den wir ihm kurz zuvor ausgehändigt haben – wenn dann müsse er dafür was von seinem Fährgeld abtreten. Da wird ihm bewusst, dass er sich nur ins eigene Fleisch schneiden würde und er raunt den Grenzbeamten noch ein paar Sätze zu, bevor ich diesen brav hinterhertrotte zu deren Offices. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der zuständige Beamte ausfindig gemacht, ein funktionierender Stift gefunden und die Daten von unseren Pässen in sein Büchlein übertragen sind. Doch nach ca. 30 Minuten kann ich mich wieder der Fähre zuwenden. Diese ist in der Zwischenzeit mit langen Holzstangen zur Mitte des Flusses gestalkt worden, wo nun diskutiert wird, wie unser Auto auf die Fähre fahren soll und welcher Wasserweg der stabilste sei. Dabei stellt sich raus, dass sich zwar eine der zwei Auffahrrampen der Fähre ins Wasser ablassen lässt, die zweite dagegen auf halben Weg nicht weiter abwärts zu bewegen ist. Nachdem die Fährbesatzung versucht hat, aus Steinen und Ästen eine mehr als wackelige Auffahrt zu bauen, entscheiden Max und ich, dass wir lieber unsere Sandbleche zum Einsatz bringen. Alles andere wäre vollkommenes Harakiri. Während ich also nach Überfahrt mit dem Passagierboot auf einer Sandinsel stehe und das ganze Spektakel von dort aus nervös beobachtend mit dem Handy festhalten muss, macht Max sich schließlich in Rotkäppchen bereit. Einige bange Sekunden kann ich kaum hinsehen, als Max Käppchen durch das Wasser und dann schließlich auf die Fähre manövriert – doch alles geht gut.
Ein Stein fällt uns vom Herzen! 5 Minuten später, rollen wir mit Käppchen ans andere Ufer und wieder rein nach Guinea. So ein Abenteuer brauchen wir definitiv nicht jeden Tag!
Nach erfolgreicher Flussüberquerung fahren wir auf quälend schlechten Straßen weiter. Immer wieder werden wir angehalten von schwer bewaffneten Militärkontrollen. Gegen Mittag treffen wir im Ort Gueckedou ein – einer trubeligen und etwas verdreckten Stadt, wo wir allerdings ein nettes Lokal finden. Nach einem großen Omelette mit Mayo und Baguette, kaufen wir noch ein paar Vorräte ein und besorgen uns eine Plastikplane. Diese soll uns bestenfalls beim nächsten nächtlichen Regen das eindrigende Wasser vom Hals halten.



Die Straße ist zwar nun asphaltiert, hat aber unzählige Schlaglöcher und so erreichen wir unsere Unterkunft – ein Forest Camp in Seredou – erst kurz vor Sonnenuntergang.


Dieses sieht mehr als verlassen aus und lediglich ein paar Kindern sind ausfindig zu machen. Da deren Eltern scheints nicht in der Nähe sind, verständigen wir uns mit ihnen auf einen Preis und sie bringen uns Duschwasser in eine der verfallenen und vernachlässigten Häuschen, die wohl früher als Bungalowunterkünfte genutzt wurden. Eine Bucket-Shower und eine warme Mahlzeit später klettern wir abends ziemlich erschöpft in unser Dachzelt. Manchmal kann man abends gar nicht begreifen, wie viel und was man alles an einem einzigen Tag erlebt hat. Naja, Hauptsache alles ist gut gegangen!
