Nichtsahnend sitzen wir am nächsten Morgen am Hotelbuffet und gönnen uns ein ausgiebiges Frühstück. So eine umfangreiche Schlemmerei hatten wir beinahe 4 Monate nicht mehr – wenn man das ebenfalls sehr üppige Frühstück in Marokko mit Kamelmilch einmal nicht miteinbezieht. Wir freuen uns auf unsere Abfahrt raus aus der Großstadt Luanda und rein in die teils kaum bewohnten Weiten Angolas, die laut den Erzählungen von Wolfram, Eddy und Antoine sehr viele Überraschungen und Abenteuer für uns bereithalten. Hätten wir gewusst, welche Abenteuer, dann wäre ich wohl schnurstracks zum Hoteltresen gegangen und hätte eine weitere Nacht in einem der sauberen Zimmer mit dem gemütlichen Bett gebucht. Doch so starten wir ohne böse Vorahnung unseren Tripp ins Umland von Luanda in Richtung Pedras Negras – einer riesigen schwarzen Felsformation, die sich surreal in die Landschaft Angolas schmiegen soll und wo wir heute Nacht unter dem wunderschönen Sternenhimmel des Landes wildcampen wollen.

Bevor wir aber die letzten Ausläufer der Hauptstadt hinter uns lassen, machen wir noch einen Stopp auf einem Supermarkt-Parkplatz. Nicht etwa, um nochmals Lebensmittel-Vorräte aufzustocken, sondern vielmehr, um Geld zu wechseln. Dazu muss man wissen, dass die offiziellen Geldautomaten und Banken in Angola, die es nur in den wirklich großen Städten des Landes zu geben scheint, um ein vielfaches schlechteren Wechselkurs anbieten, als der illegale Geldtausch, der auf der Straße stattfindet und trotz seines Verbotes angeblich gängiger Brauch zu sein scheint. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch verlassen wir den umzäunten Parkplatzbereich, auf dem der Parkwärter auf die teuren Wägen der zumeist ausländischen Fachkräfte bzw. wohlhabenden Schicht Angolas aufpasst und schlendern bemüht unauffällig (ich glaube nicht, dass uns das tatsächlich gelingt), am äußeren Zaun entlang, durch ein dichtes Gedränge von Angolanern, die entweder auf dem Weg zur Arbeit, zum Zug oder Markt sind. Am Boden des Bürgersteigs haben einige Frauen ihre Waren (Gemüse, gebrannte CDs und einigen anderen Krimskrams) aufgebaut und warten auf Kundschaft. Sobald wir an den Frauen vorbeischlendern, hören wir ein Zischen und eine unverkennbare Geste: Das Aneinanderreiben der Fingerspitzen. Wir nicken und flüstern „Cambio“. Kurz hören wir die Frauen untereinander diskutieren – wahrscheinlich um zu klären, wer denn den auffälligen Weißen zu ihrem Geld verhelfen soll. Dann steht eine sehr korpulente Frau auf, und zeigt, ihr zu folgen. Wir sind etwas überrascht, dass wir ihr hinterherlaufen sollen – was wiederum verdeutlicht, wie wenige Gedanken wir uns über den Grad des Illegalen unseres Vorhabens tatsächlich gemacht haben. Dass wir nicht mehrere hundert Dollar vor den Augen unzähliger Zeugen wechseln würden, hätte uns eigentlich bewusst sein sollen. Und so folgen wir der sehr einsilbigen Frau, die mich am Arm greift und uns leicht todesmutig über eine 6-spurige Straße bugsiert, in einen verlotterten Hinterhof, auf dem neben ausgeschlachteten Fahrzeugen und ein paar zwielichtigen Gestalten nichts wirklich vertrauenswürdig Erscheinendes weit und breit zu sehen ist. Während die Frau fröhlich mit dem ein oder anderen, den wir auf unserem Weg passieren, Sätze auf Portugiesisch wechselt, wird uns zunehmend mulmiger zu Mute. Was, wenn das hier eine Falle ist und wir anstatt an Wechselgeld, gleich unseres Geldes beraubt werden?
Man führt uns in einen kleinen Holzschuppen, in dem wir warten sollen. Nach einigen Minuten in dem muffigen Kabuff tritt die Frau wieder ein, knüpft eins ihrer vielen bunten Tücher, die sie kunstvoll um ihren Körper geschlungen hat auf, und zieht einen dicken Bündel Geldscheine hervor. Wir zeigen ihr die Dollar-Scheine, die wir gewechselt bekommen wollen, sie zählt uns die entsprechenden angolanischen Kwanza (Landeswährung von Angola) vor. Beide Seiten sind zufrieden mit dem Wechselkurs und nach einem kurzen Nicken werden die Scheine getauscht. Während die wenigen 100-Dollar-Noten wieder in ihrem Tuch verstaut und umgebunden werden, haben wir größte Mühe den erhaltenen riesigen Geldschein-Haufen unauffällig auf unsere Hosentaschen zu verteilen. Wir folgen der Frau noch aus dem Hinterhof, die sich dann schnell durch die hupende Autokolonnen ihren Weg zurück zu ihrem Verkaufsstand sucht, während wir noch etwas beeindruckt von dieser doch etwas ungewöhnlichen Art und Weise Geld zu wechseln etwas länger brauchen, um die vielbefahrene Straße ohne einen Unfall zu überqueren.
Jetzt aber raus aus Luanda – dem Lärm, dem Gewusel und den Abgasen der vielen Fahrzeuge und hinein in die Natur und Wildnis dieses uns gänzlich unbekannten Landes.

Die Straßen werden – wie wir bereits von Wolfram vorgewarnt wurden – zunehmend schlechter und neben der schönen, üppigen Landschaft rechts und links, haben wir jede Menge damit zu tun, den tiefen Schlaglöchern auszuweichen, was oftmals zu sehr spontanen Bremsmanövern oder schwindelerregenden Gekurve führt.

Doch mit einem neuen Hörspiel auf den Ohren (Rita Falks „Weisswurst-Connection“ mit dem Dorfpolizisten Franz Eberhofer lässt die schlimmsten Straßen Afrikas erträglich erscheinen und weckt bei der Erwähnung von Schweinsbraten & Knödeln oder Brezen bei Max und mir regelmäßig Heißhunger auf die heimischen Schmankerl), kommen wir langsam aber gut voran, in einem Tempo, um noch vor Sonnenuntergang uns einen schönen Wildcamping Platz im schwarzen Gesteinsmassiv zu suchen. Ein leicht schlagendes Geräusch lässt uns ab und zu den Radio leiser drehen, doch wir stempeln dieses als eine leise Beschwerde Rotkäppchens über die Schlaglöcher ab und fahren guter Dinge weiter. Und dann passiert, was irgendwann einmal kommen musste: irgendwo im Nirvana Angolas bleibt unser geliebtes Rotkäppchen einfach stehen. Ein schlagendes Geräusch, wenn Max versucht die Kupplung zu treten und anzufahren, sonst gibt unser Land Rover Defender nichts mehr von sich. Auch das Einlegen unterschiedlicher Gänge oder ein vergeblicher Anschiebeversuch bringen uns nicht mehr vom Fleck. Wir sind auf der Nationalstraße mehrere hundert Kilometer hinter Luanda gestrandet.
Was jetzt? ADAC rufen wie in Deutschland geht hier natürlich nicht und auch der Versuch einen der großen Geländewägen anzuhalten, von denen ca. alle 15 Minuten einer vorbeifährt, bleibt ergebnislos. Verzweiflung macht sich in uns breit, da uns sofort bewusst ist, dass hier mehr als nur eine Kleinigkeit an unserem Fahrzeug kaputt zu sein scheint und wir mit unseren nicht-existenten handwerklichen Fähigkeiten hier so schnell nicht wegkommen werden. Nachdem wir es geschafft haben, auf dem Handy (das kaum noch Guthaben hat) endlich einen Empfangsbalken angezeigt zu bekommen, rufen wir denjenigen an, der uns jetzt als Einziger wohl weiterhelfen kann – Wolfram. Dieser lässt sich kurz unsere Misere schildern, dann sagt er in einer sehr zuversichtlichen, väterlichen Stimme:
„Keine Sorge ihr 2, ich werde dafür sorgen, dass man euch hilft. Ich melde mich spätestens in einer halben Stunde wieder. Versucht bis dahin euch ins nächste Dorf abschleppen zu lassen.“
Wolfram, unser Freund aus Luanda
Gesagt, getan. Da uns die großen, teuren Geländewägen egal wie freundlich und hilflos wir winken, weiterhin ignorieren und an uns vorbeirauschen, versuchen wir unser Glück bei den Einheimischen und uns wird umgehend geholfen. Ein alter Traktor eines angolanischen Bauern, der zusammen mit seinen zwei Söhnen wohl scheints auf dem Heimweg von der Feldarbeit ist, hält sofort an und obwohl wir uns sprachlich nicht austauschen können, ist sofort klar, dass man uns, ohne mit der Wimper zu zucken, helfen möchte.

Wir machen mit Hilfe unseres Abschleppseils unseren Landy an dem Traktor fest und ab geht die Fahrt. Mit 5 km/h werden wir einige Kilometer bis zum nächsten Dorf geschleppt, das neben eine Tankstelle nicht wirklich etwas vorzuzeigen hat. Dort lassen wir unseren Landy abstellen und wollen uns noch bei den freundlichen Helfern bedanken. Doch die schütteln nur mit dem Kopf und wollen schnell weiterfahren. Max schafft es zumindest, den beiden Jungs zwei seiner T-Shirts zu schenken. So viel bedingungslose Hilfsbereitschaft gehört belohnt und ich bin gerührt, wie diese sichtbar ärmliche Familie, die sicherlich einiges an zusätzlichen, teuren Diesel für diese Abschleppaktion verbraucht hat, ohne eine Gegenleistung von uns annehmen zu wollen, wieder wegfährt. Doch viel Zeit bleibt uns nicht, darüber zu sinnieren. Max erhält einen Anruf von Wolfram aufs Handy, der uns bittet bei der Tankstelle des Dorfes ca. 1h zu warten. Er hat einen seiner Bekannten der angolanischen Camping-Fans erreicht und diese sei schon losgefahren, um uns abzuholen bzw. uns zu helfen. Als wir uns zum Warten auf diesen Bekannten wieder ins Auto setzen wollen, merke ich, dass ein eigenartig dreinblickender Tankwart, den ich an seiner leicht ramponierten Tank-Uniform erkenne, sich mir nähert und als ich ihn grüße, versucht er mich plötzlich zu umarmen. Ich schubse ihn etwas unsanft von mir weg, woraufhin er mich nur mit einem schiefen, zahnlosen Lächeln angrinst – der scheint nicht ganz frisch zu sein. Schnell zurück ins Auto. Während wir im Auto sitzend zusehen, wie die Sonne untergeht und es langsam dunkel um uns wird, beobachten wir einige kleine Jungs, die mit Holzstecken ausgestattet, barfuß und in zerrissenen Klamotten im Staub spielen. Nach einiger Zeit erkennen wir, mit was die Jungs hier stolz posieren: Sie haben mehrere Ratten gefangen und zum Teil an ihre Stecken gebunden – die sie nun wie stolze Trophäen rumtragen, wahrscheinlich mit der Absicht diese heute abends noch zu essen.

Die hereinbrechende Dämmerung, in Kombination mit dem gruseligen Tankwart, der immer wieder zu uns herüberblickt, bis er schließlich die Lichter der Tankstelle ausschaltet, lassen die Situation, in der wir stecken und aus der wir uns eigenständig nun nicht mehr herausmanövrieren können, noch trostloser erscheinen.
Nach einer guten Stunde taucht plötzlich ein Toyota mit Dachzelt auf. Das muss Wolfram’s Bekannter sein. Wir stellen uns kurz vor. Der Lodge-Besitzer, wie sich später herausstellt, ist zusammen mit seinem Mechaniker 60km gefahren, um uns genau diese 60km nun zurück zu seiner Lodge abzuschleppen. Da wir keine Wahl haben und die Vorstellung an dieser Tankstelle übernachten zu müssen noch gruseliger ist, als die Vorstellung 60km von einem Toyota abgeschleppt zu werden, holen wir erneut unser Abschleppseil hervor und binden dieses zwischen Rotkäppchens Stoßstange und der Anhängerkupplung des Toyotas fest.

Der Bekannte von Wolfram scheint die Strecke zwischen der Tankstelle und seiner Lodge blind zu kennen, denn er fährt trotz der schwachen Scheinwerfer der beiden Fahrzeuge mit einer für unseren Geschmack deutlich zu hohen, um nicht zu sagen todesmutigen Geschwindigkeit über die Schlagloch durchsäte Teerstraße, die kurze Zeit später sich in eine Dreckstraße mit nur noch wenigen Teerresten verwandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass alle 5 Minuten unser Abschleppseil reißt, weshalb wir immer wieder hupend auf uns aufmerksam machen müssen, damit der davonrauschende Toyota merkt, dass er uns erneut in der pechschwarzen Nacht auf halber Strecke verloren hat. Das mit jedem Riss kürzer werdende Seil gepaart mit der Angst jeden Moment entweder in ein tiefes Schlagloch zu rasseln oder dem Toyota versehentlich hinten draufzufahren, lässt diese unendlich scheinende Fahrt durch die tiefste Dunkelheit Angolas zu einem meiner schrecklichsten Erlebnisse dieser Reise werden.

Das letzte Stück führt durch kleine Dörfer mit Lehmhütten, die links und rechts die Straße säumen. Und während unser Helfer keine Scheu zu haben scheint mit 60 Sachen durch ein lebhaftes Dorf mit freilaufenden Tieren zu brettern, sehe ich nur andauernd verängstigte Kinder, Ziegen oder Hühner um ihr Leben rennen, um nicht unter die Reifen der Geländewägen zu gelangen. Bitte lass diese Höllenfahrt endlich vorbei sein!

Nach einer Ewigkeit und einem 15-fach geflickten Abschleppseil, das am Ende gefühlt nur noch einen halben Meter lang zu sein scheint, erreichen wir ein großes Tor und damit die Lodge, die auch das Ende dieses abenteuerlichen Ritts bedeutet. Der kurz angebundene Mann, der scheints kaum Englisch zu verstehen scheint, zieht uns mit seinem Toyota an einen Platz, an dem wir scheints campen dürfen, dann ist er verschwunden. Der Mechaniker lässt sich im Schein einer Taschenlampe noch kurz das Geräusch und den nicht sichtbaren Schaden unseres nicht mehr fahrtüchtigen Fahrzeugs zeigen, dann verabschiedet auch er sich. Wir sind in diesem Moment noch vollkommen überfordert von der Situation – dankbar, geschockt von dem Höllenritt und verunsichert zu gleich, wie diese Reise wohl weitergehen soll. Eine Frau – die Ehefrau des Lodgebesitzers – begrüßt uns schließlich. Sie scheint deutlich besser Englisch zu beherrschen als ihr Mann und lädt uns ein, doch auf eine Cola oder ein Bier uns noch mit ihnen ans Lagerfeuer zu setzen. Dort haben sich neben dem Ehepaar einige Gäste der Lodge eingefunden und lassen sich von fein rausgeputzten Kellnern in Anzügen Würste überm Lagerfeuer braten, zu denen Brot in kleinen Bastkörbchen gereicht wird. Diese Situation ist mehr als surreal, doch schweben zu viele Gedanken und Ängste über die Zukunft unserer Reise durch meinen Kopf, um schlau aus der Situation zu werden. Nachdem wir unsere Getränke geleert und Max eine Wurst verdrückt hat, verabschieden wir uns von unseren Helfern und jetzigen Gastgebern und gehen zu Rotkäppchen, um es uns im Zelt bequem zu machen. 1.000 Gedanken und eine unangenehme Vorahnung, dass wir so schnell nicht weiterreisen können, hält uns noch lange diesen Abend wach. Das laute, monotone Rauschen, das uns dann doch schließlich in den Schlaf singt, fällt uns dabei nicht auf. Die Überraschung am nächsten Tag ist daher umso größer…
Das war wie immer spannend beschrieben und bebildert!
Seid froh dass es es so nahe an Luanda passiert ist – sonst hättet ihr dies ohne Hilfe regeln müssen.
Ich drücke euch die Daumen dass es etwas kleines ist – wir bald mit euch weiterreisen können!
Gruess, Heinz
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Danke, Heinz für die netten Worte. Tatsächlich ist am Ende alles einigermaßen gut ausgegangen, aber in dem Moment ist man einfach hilflos und etwas verzweifelt. Zum Glück gibts in Afrika & vor allem Angola immer helfende Hände, die sofort anpacken und einem aus der Patsche helfen. Liebe Grüße, Amrei
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