Kurz nachdem wir es uns im Dachzelt vor der verschlossenen Auberge gemütlich gemacht haben, hören wir vorm Zelt jemanden rumschleichen und leise Zischen. Als Max seinen Kopf aus dem Zelt streckt, erkennt er im Dunkeln eine männliche Gestalt, die zu uns hochsieht. Der Mann stellt sich als Wächter des Hotels vor und sagt uns, dass er die Aufgabe hat aufs Hotel aufzupassen. Wir grüßen ihn freundlich, erzählen ihm, dass wir gerne im Hotel übernachtet hätten, nun aber vorm Hotel schlafen würden. Er nickt und setzt sich auf das Geländer vor dem Hotel. Wir wünschen ihm eine gute Nacht und ziehen uns wieder in unsere Schlafsäcke zurück. Kurz darauf hören wir ihn eifrig und lautstark lachend mit einem anderen Mann vor unserem Zelt unterhalten. Das kann ja eine ruhige Nacht werden! Da aber kurze Zeit später starker Regen einsetzt, verebbt das laute Palaver der Männer und das monotone Trommeln der dicken Regentropfen, die auf das Zeltdach prasseln, lässt uns in einen unruhigen Schlafen sinken.
Am nächsten Morgen, als das erste Krähen des Hahns ertönt, werden wir unsanft aus dem Schlaf gerissen. Ein stumpfes, schlagendes Geräusch neben unserem Auto lässt uns hochschrecken. Nachdem wir uns orientiert haben und richtig wach sind, verstehen wir erst, was uns denn da aus dem Schlaf geholt hat: Der Mann, der sich gestern in der Dunkelheit als „Wächter des Hotels“ vorgestellt hatte, hat um 6 Uhr morgens die glorreiche Idee kurz nach Tagesanbruch um unser Auto herum mit einer Machete auf dem Seitenstreifen Gras zu mähen. Warum um alles in der Welt macht er das? Entsprechend zerknirscht quälen wir uns im Licht der Dämmerung die Zeltleiter herunter und murren ein „Bonjour“ in die Richtung des Übeltäters, der sofort aufhört seiner Arbeit nachzugehen und neugierig zu uns rüberschielt. Vom dringend benötigten Schlaf beraubt, beschließen wir schnell loszufahren, um uns am heutigen Tag eine schöne Unterkunft am Meer zu suchen und etwas zu entspannen. Als wir aber das Zelt zusammengepackt haben und den Motor unseres Landys starten wollen, kommt der selbsternannte Hotelguard angelaufen und sagt, dass er Geld haben möchte. Er habe sich schließlich um uns gekümmert. Wir sehen das etwas anders. Immerhin haben wir auf der Straße vor dem Hotel übernachtet und wurden zudem noch von ihm zuerst vom Einschlafen abgehalten, um morgens dann seinerseits unsanft geweckt zu werden. Um ihn aber zufrieden zu stellen, greift Max hinter sich und zieht aus unserer Geschenketasche zwei Zigaretten hervor, die wir ab und an für kleine erwiesene Dienste oder nette Begegnungen bereithalten. Doch der Mann reagiert erbost, wehrt die ihm entgegengestreckten Zigaretten ab und fordert uns auf ihm umgerechnet 5 Euro für die Nacht zu zahlen. Gemessen an dem durchschnittlichen Monatslohn von ca. 70€ im Kongo ein stattlicher Preis. Auf die Frage, für was er dieses Geld erhalten soll, antwortet er nicht sondern wiederholt stur und verärgert seine Forderung nach Geld. Wir haben genug von diesem Ort und den Diskussionen. Max startet den Motor, streckt dem Mann nochmals als Friedensangebot die zwei Zigaretten entgegen, doch da dieser immer aggressiver zu werden scheint, fahren wir los. Was haben wir denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Hätten wir dem Mann tatsächlich Geld geben sollen, auch wenn wir weder auf seinem Grund und Boden geparkt haben, noch sonst eine Dienstleistung seinerseits angenommen haben (wenn man den ungewollten Weckdienst durch eine Buschmachete einmal aussenvor lässt). Ich bin ratlos und traurig, dass ich hier in diesem eigentlich sehr schönen Land die Mentalität der Menschen nicht zu begreifen scheine.
Wir machen uns also ohne Frühstück auf in Richtung Diosso. Hier soll, etwas nördlich von Pointe-Noire gelegen, der Grand Canyon des Kongos zu sehen sein, der aufgrund starker Erderosion aus roten Sandsteinklippen besteht und neben seinem faszinierenden Anblick traurige Berühmtheit erlangt hat, da hier die Regierung zig Tonnen Giftmüll bedenkenlos entsorgt haben sollen – die Regierung der Republik Kongo streitet das bisher ab. Die vermeintlichen Abkürzungen, die wir auf der Strecke gen Küste immer wieder versuchen zu nehmen, stellen sich ausnahmslos als Sackgassen heraus, weshalb wir erst nach einigen Irrfahrten und deutlich später als geplant Pointe-Noire und damit die Atlantikküste erreichen.
An der Küste angekommen, entdecken wir einige kleine einladende Hütten, die zum Picknicken und Verweilen einladen. Wir parken an einem beinahe menschenleeren Strandabschnitt und genießen das Gefühl von Entspannung, das wir in den letzten Tagen komplett vermisst hatten. Barfuß schlendern wir an der Küste entlang, den Blick auf das wilde Meer und die unberührte Natur gerichtet.

Zurück am Auto finden wir endlich mal die Zeit, um uns und Rotkäppchen wieder ein wenig auf Vordermann zu bringen und uns alle 3 vom Staub und Dreck der letzten Tage zu befreien. Zudem nutzen wir das immer wieder schwach vorhandene Internet, um uns dieses Mal frühzeitig um eine Übernachtungsmöglichkeit zu kümmern und einen Plan für die kommenden Tage auszuarbeiten. Von anderen Overlandern erfahren wir, dass sie bei ihrem Versuch von der Republik Kongo über Cabinda (eine Enklave Angolas) in die Demokratische Republik Kongo zu reisen nicht in die DRC reingelassen wurden und nun in einem täglichen Kampf mit den Behörden stehen. Der Grund für die Ablehnung bzw. nicht Anerkennung ihrer Papiere ist ihr in Benin ausgestelltes Visum (welches wir ebenfalls in unseren Pässen kleben haben). Ähnliches hören wir von anderen Grenzen nach DRC. Das kann ja heiter werden, denn auch wir wollen in den kommenden Tagen in die DRC einreisen – über welche Grenze bleibt abzuwarten.
Zumindest unsere Recherche nach einer Unterkunft ist erfolgreicher. Johanny, ein Couchsurfing Host aus Frankreich, erklärt sich bereit, uns für ein oder mehr Nächte aufzunehmen. Er scheint als reiselustiger Franzose selbst schon oft Couchsurfing in Anspruch genommen zu haben und Gefallen daran zu finden, Wildfremde in seiner Wohnung übernachten zu lassen. Wir sollen abends bei ihm aufschlagen, da er tagsüber noch unterwegs ist. Ich kann gar nicht genau sagen, weshalb wir uns diesen zusätzlichen Nervenkitzel antun – eine Übernachtung bei einem Fremden in dessen Zuhause, den man nicht kennt und man nicht weiß, was einen erwartet. Vielleicht ist es die Alternativlosigkeit, da die recherchierten Hotels nicht sonderlich einladend zu sein scheinen? Vielleicht ist es die leise Hoffnung auf einen erneut sehr freundlichen Host zu treffen wie Jaco in Nigeria? Oder vielleicht ist es auch einfach die Aussicht auf eine Waschmaschine, mit der wir endlich mal wieder unseren Kleiderschrank auffrischen können? Fakt ist, dass sich die Übernachtung bei Johanny nach einer deutlich besseren Alternative anhört, als in ein runtergerocktes Hotel zu gehen und wir uns über seine Zusage freuen. Eine Sorge weniger für den Moment.
Etwas ausgeruht und deutlich positiver gestimmt, fahren wir nach Diosso. Doch jedes Mal wenn wir an einem der Spots ankommen, von wo man einen tollen Blick hinab in den Canyon und auf den Ozean haben soll, werden wir sofort von mehreren Jugendlichen umringt, die alle versuchen sehr aufdringlich mit uns Geld zu machen. Da wir bereits diverse Stories von anderen Overlandern gelesen haben, die vom Diebstahl der Wertgegenstände oder halsabschneiderischen Deals berichtet haben, drehen wir beim Anblick der herbeieilenden Traube an Jugendlichen ab und suchen schnell das Weite. Ich glaube, in einer früheren Phase unserer Reise, in einem anderen Land, hätten wir das Spiel mitgespielt: D.h mit einem der Jungs einen Preis ausgehandelt, mit entsprechender Vorsicht unsere Wertgegenstände wie z.B. die Kamera im Auge behalten und uns über den Ausblick gefreut und das ganze Spektakel als weiteres Abenteuer genossen. Jetzt, mit den meist negativen Erfahrungen im Gepäck und dem wenigen Schlaf, fehlt uns die Kraft und die Nerven dazu. Im Nachgang und mit etwas Abstand betrachtet wirklich schade, aber in der Situation und in diesem Moment nachvollziehbar.

Wir probieren also mehrere Abzweige aus, um einen ungestörten Ausblick auf den Canyon zu ergattern, bis wir bei dem 4ten Versuch endlich fündig werden: An diesem Abzweig bei dem ein kleines, handgemaltes Schild auf den Canyon hinweist, finden gerade Holz-Fällarbeiten statt, weshalb hier weder Touristen noch Einheimische zu sehen sind. Wir parken Rotkäppchen mit sicherem Abstand von den umfallenden Bäumen und versuchen zu Fuß unser Glück. Bis auf die drei Holzarbeiter, die uns freundlich grüßen und sogar die Motorsäge kurz ausschalten als wir passieren, begegnet uns niemand. Nach einem 10minütigen Fußmarsch erreichen wir den Aussichtspunkt. Auch hier keiner weit und breit. Der Blick über den dichten Weld hinab zum Meer ist schön, aber den Grand Canyon des Kongos hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Aber gut, selber Schuld, wenn man dafür nicht bezahlen will.

Wir fahren zurück in die Großstadt Pointe Noire, erfahren, dass unser Coach Surfing Host Johanny erst später abends zuhause sein wird und beschließen spontan uns in einem der Restaurants am Meer ein Abendessen zu gönnen. Tatsächlich parkt vor einem der Restaurants der Land Rover eines niederländischen Overlanders, von dem wir bisher nur aus Erzählungen gehört und von ihm in unserer WhatsApp Gruppe gelesen haben. Es stellt sich raus, dass Michiel hier seit einigen Tagen übernachtet und auf sein Visum hofft – eine bürokratische Odyssee. Doch der etwas eigenwillige Niederländer siehts gelassen und scheint die Zeit in Pointe-Noire als notwendiges Übel akzeptiert zu haben. Gemeinsam genießen wir ein kühles Bier auf der Terrasse des Restaurants mit Blick auf den Strand. Wären dabei nicht die vielen Kinder, die unaufhörlich versuchen über den Restaurantzaun die Gäste um etwas Kleingeld anzubetteln und würde einem dadurch nicht mit einer traurigen Vehemenz vor Augen geführt, dass man sich gerade in einem der ärmsten Länder der Welt befindet in dem die Kluft zwischen Arm & Reich allgegenwärtig spürbar ist und die soziale Ungerechtigkeit greifbar scheint, hätte man fast für einen Moment vergessen können, dass man im Kongo ist.

Es ist bereits dunkel, als wir aufbrechen und uns auf die Suche nach der Wohnung von Johanny machen. Google Maps lotst uns in eine dunkle, sandige Nebenstraße, die parallel zur Küste verläuft. Für einen kurzen Moment kommen schon Zweifel in mir auf, ob Johanny tatsächlich der französische Host ist, den er vorgibt zu sein, oder ob wir jeden Moment in einen Hinterhalt gelockt und überfallen werden. Doch alle Zweifel sind unberechtigt. Rechts vor uns wird ein hohes, rotes Metalltor aufgeschoben und ein Wachmann winkt uns freundlich zu. Wir fahren in den Innenhof, wo bereits mehrere Autos und ein Pick-Up steht, der gerade von Hand gereinigt wird. Etwas peinlich, unser vor Dreck strotzendes Rotkäppchen neben die gestriegelten Karosserien zu parken.

Aber gut, die haben sicher noch nicht so viel erlebt wie unser Land Rover. Als wir aussteigen, werden wir aus dem 3ten Stock winkend schon von Johanny erwartet. Er kam vor mehreren Jahren in den Kongo, um dort zu arbeiten und hier in der Ölbranche gutes Geld zu verdienen. Aktuell ist er als Health & Safety Beauftragter für Ölplattformen zuständig, plant aber sich zeitnah nach Kinshasa versetzen zu lassen, wo er ein noch attraktiveres Angebot auf ihn wartet. Auf dem Balkon, mit einem kühlen Bier ausgestattet, lauschen wir Johannys Erzählungen über sich, sein Leben und seine Reisen. Er hat bereits viel von der Welt gesehen und genießt es sichtlich, sich mit uns auszutauschen und mit uns den Abend zu verbringen. Wieder einmal bestätigt sich, dass Couchsurfing eine tolle Option ist, um neue interessante Leute kennenzulernen. Später am Abend fallen wir glücklich in das frisch bezogene Bett in einem kleinen Zimmer mit Blick aufs Meer. Zuvor wurde uns von Johanny noch sein Wohnungsschlüssel in dir Hand gedrückt mit den Worten, wir sollen uns hier wie zuhause fühlen und können gerne länger bei ihm bleiben. Auch die Waschmaschine wartet bereits darauf eine große Ladung Wäsche am nächsten Morgen für uns sauber zu schleudern. Doch bis dahin kann uns nichts davon abhalten tief und fest einzuschlummern.


Am nächsten Morgen ist Johanny bereits mit einem Bein zur Tür raus und auf dem Weg ins Büro als wir aufstehen. Wir verabreden uns auf ein Mittagessen in seiner Wohnung – irgendwie wollen wir uns ja erkenntlich zeigen für seine Gastfreundschaft und uns mit einer Portion Pasta revanchieren.

Doch bevor wir uns auf den Weg zum Supermarkt machen, kümmern wir uns erst einmal um unseren Landy. Der Kraftstofffilter muss dringend geprüft und ggfs. gewechselt werden und ein Ölcheck steht ebenfalls an. Den letzten Ölwechsel hatten wir in Ghana machen lassen und seither sind doch einige Kilometer zurückgelegt worden. In der von Johanny empfohlenen Autowerkstatt werden wir freundlich begrüßt. Ein Mitarbeiter, der auch etwas Englisch kann, kümmert sich freundlich um uns und fragt uns interessiert über unsere bisherige Reise aus. Wir berichten ihm von unserer Route und dem Happy Venture Charity Projekt. Währenddessen bekommt Käppchen eine dringend notwendige Wäsche. Danach machen sich die Mechaniker an den Kraftstofffilter-Austausch. Nach einer guten Stunde kommt der freundliche Mitarbeiter wieder auf uns zu und meint:
I have good and bad news for you. What do you want to hear first? The bad one is that we needed to change the diesel filter, since the old one was not okay any longer. The good one is, you do not have to pay for it!
Wir können unser Glück kaum fassen. Während der Wartezeit hatten wir schon hin und her kalkuliert wie viel wir wohl zahlen müssen und ob uns die vor kurzem Abgehobenen Kongo-Francs wohl ausreichen würde. Jetzt keine Rechnung für eine 1-stündige Arbeitsleistung gestellt zu bekommen, kommt so unerwartet, dass wir uns überschwänglich bedanken und über beide Ohren grinsend die Werkstatt verlassen. Jetzt sieht der Kongo doch gleich wieder freundlicher aus!

Nach einem gemütlichen Mittagessen mit Johanny, der unsere Gorgonzola Gnocchi (ja, gegen einen stolzen Preis kann man in Pointe-Noire tatsächlich Zutaten für dieses zuhause wenig geschätzte und hier im Kongo göttlich schmeckende Gericht erstehen) genauso zu genießen scheint wie wir, heißt es Abschied nehmen. Wir sind wieder einmal rastlos und getrieben von der Ungewissheit an ein Visum für Angola und über die Grenze nach DRC zu kommen. Unser Versuch der deutschen Botschaft zu schreiben und hier Unterstützung zu erhalten, sind gescheitert. Die Rückmeldung aus der Botschaft lautet:
Wir können Ihnen leider nicht weiterhelfen, da von einer Einreise in die DRC seitens des Auswärtigen Amtes sofern irgendwie vermeidbar abgeraten wird.
Man wolle hier kein diplomatisches Fass aufmachen und ihnen seien daher die Hände gebunden. Also müssen wir unser Glück wohl ohne diplomatische Hilfe in die Hand nehmen. Wir fassen den Entschluss, am nächsten Tag zuerst die angolanische Botschaft in Dolisie für die Beantragung eines Visums und im Anschluss die kleinste zwischen der Republik Kongo und der DRC existierenden Grenze anzusteuern. Mit dem Risiko auch dort abgewiesen zu werden, aber mit der Hoffnung, dass an dieser Grenze kaum Touristen angekommen und auch die Kommunikation mit den örtlichen Behörden so unterentwickelt ist, dass die Nachricht Touristen mit einem außerhalb des eigenen Landes ausgestellten Visums nicht durchzulassen, dort noch nicht durchgedrungen ist. Also brechen wir am frühen Nachmittag bei Johanny auf und schlagen unser Nachtquartier auf dem einzigen öffentlichen Parkplatz zwischen Pointe-Noire und Dolisie auf. Der Parkplatz, der als „Panorama-Parkplatz“ ausgeschrieben ist, wird seinem Namen nicht gerecht: kein Panorama, dafür ordentlich Lärm der vorbeidonnernden Laster hält uns in dieser Nacht lange vom Einschlafen ab.
