Der Satz „Ihr seid Weiße, ihr habt doch das Geld“ wirkt noch lange in uns nach, als wir uns im Auto hin- und herschwankend die kaputte Straße zurück ins Tal schlängeln. Vorbei an den angetrunkenen Dorfbewohnern, dem tiefhängenden Stromkabel und uns hinterherlaufenden Kindern. Ja, wir hätten das Geld gehabt, um hier zu übernachten. Aber nur diesen unverhältnismäßig hohen Preis aufgrund der eigenen Hautfarbe zahlen zu müssen, nachdem man uns anfangs überhaupt nicht dort beherbergen wollte, leuchtet uns nicht ein. Lieber zahlen wir beim nächsten Gemüse-Straßenstand etwas mehr, wenn wir freundlich bedient werden oder geben Trinkgeld, wenn ein selbsternannter Tourguide sich besonders bemüht so deutlich zu sprechen, dass wir mit unseren kaum vorhandenen Französischkenntnissen verstehen, was er uns zu erklären versucht. Auf Basis der Hautfarbe hingegen über den Tisch gezogen zu werden und das auch noch direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen, macht mich traurig und wütend zugleich. Doch uns bleibt nicht viel Zeit stumm unseren Gedanken nachzuhängen, da wir nach einer Stunde Fahrt wieder am Abzweig unseres erfolglosen Abstechers angekommen sind und nun abermals vor der Frage stehen, wo wir heute Abend übernachten sollen.
Die Strecke nach Pointe-Noire, einer kongolesischen Großstadt direkt an der Atlantikküste, in der es einige Hotels geben soll, ist heute nicht mehr vor Anbruch der Dunkelheit erreichbar. Zumal in unserem Reiseführer und auf der Seite des Auswärtigen Amtes bereits bei Tageslicht vor der Fahrt über die geschlängelte, hügelige Nationalstraße gewarnt wird, auf der täglich aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens, der unberechenbaren LKW-Fahrer und deren kaum noch fahrtauglichen Gefährten zahlreiche Unfälle mit Todesopfern passieren. Ohne Plan und mit der Hoffnung auf eine spontane Eingebung fahren wir die Hauptstraße gen Pointe-Noire entlang. Die Sonne steht bereits sehr tief und es bleibt uns nicht einmal eine Stunde bevor es dunkel wird. Während Max sich auf die Straße und die vielen Überholmanöver auf der kurvigen Strecke konzentriert, versuche ich Wildcamping-Spots am Straßenrand ausfindig zu machen. Doch bei jeder kleinen Bucht, die eine potenzielle Campinggelegenheit hinter einem Strauch oder Baum darstellen würde, werden wir von einem der tiefe Wasserabläufe neben der Straße daran gehindert von der Hauptstraße abzufahren. Was haben sich die Baumeister beim Straßenbau nur gedacht, als sie tiefe, steile Gräben an den Straßenseiten graben haben lassen, die so breit sind, dass leicht ein Reifen darin verschwinden würde?
Frustriert und ohne Lösungsidee fahren wir weiter in die nun über uns hereinbrechende Dunkelheit. Immer wieder tauchen im schwachen Licht unserer Landy Scheinwerfer plötzlich Umrisse von Fußgängern auf, die am Straßenrand nach Hause gehen. Auch sie können aufgrund des tiefen Grabens neben der Straße nur auf dem Asphalt laufen und gefährden damit ihr Leben und das der anderen Verkehrsteilnehmer. Die Gefahr beim nächsten halsbrecherischen Überholmanöver in einen Unfall mit einem Passanten oder entgegenkommenden Auto verwickelt zu sein, nimmt mit jeder Minute in der die Sonne länger hinterm Horizont untergegangen ist zu, da nicht nur wir eine spärliche Beleuchtung in der stockdunklen Nacht haben, sondern auch bei den entgegenkommenden Fahrzeugen entweder nur ein Licht funktioniert oder beide Leuchtmittel ausgefallen sind. Beim nächsten kleinen Dorf, das auf Google eingezeichnet ist, entschließen wir uns von der Hauptstraße abzufahren – in der Hoffnung hier einen Stellplatz für die Nacht zu finden und dem gefährlichen Verkehr zumindest für diese Nacht entkommen zu sein. Ohne Ahnung was uns hier erwartet, biegen wir also hinter einem Bushmeat Stand, an dem noch einige in der Dunkelheit schwer zu identifizierende Tierkadaver kopfüber baumelnd auf den nächsten Käufer warten, ab und fahren über eine sandige Piste ins dunkle Ungewisse. Nach einigen Minuten Holperfahrt lichtet sich die bisher dicht bewaldete Straße etwas und wir erreichen ein Fabrikgelände an dem scheints Sand, Zement oder Gestein abgebaut wird. In dem kleinen Aufseher-Häuschen neben einer Schranke können wir eine Person ausmachen und die Idee hier auf dem Fabrikgelände zu campen erfüllt uns mit Zuversicht. Doch die Antwort des Mannes mit asiatischen Gesichtszügen fällt leider höflich, aber bestimmt aus. Er würde uns gerne helfen, doch es ist ihm nicht erlaubt Fremde aufs Firmengelände zu lassen und er würde seinen Job verlieren, wenn er es dennoch machen würde. Also wieder weiter.
Paar Minuten später stehen wir mit Rotkäppchen mitten in einem kleinen Dorf, in dem trotz Dunkelheit noch mächtig Trubel herrscht. Beim langsamen Passieren der wenigen betonierten Gebäude versuchen wir ein Hotel Schild zu erspähen, doch ohne Erfolg. Die meisten Steingebäude stellen sich als kleine Einkaufsläden oder Bars heraus, aus denen laute Musik und Gelächter dröhnen. Fast jeder Passant hier scheint entweder ein Bier in der Hand zu halten oder eins intus zu haben. Der Ruf, dass die Republik Kongo und seine Nachbarländer aufgrund ihrer schweren kolonialen Vergangenheit, der jungen Bevölkerung und schwierigen wirtschaftlichen Lage ein Alkoholproblem habe, scheint sich hiermit zu bestätigen.
Im Ortskern fragen wir schließlich nach einer Auberge. Nach kurzem Überlegen zeigt man uns eine Straße, die zu einer Unterkunft führen soll. Diese ist vom Regen ausgewaschen und nur in Schritttempo befahrbar. Ich springe aus dem Auto und laufe vorneweg, um Max den Weg zu weisen und bin froh, dass nun endlich ein Ende dieser anstrengenden und nervenaufreibenden Odyssee erreicht zu sein scheint. Auf einen Hügel angekommen, sehen wir endlich das ersehnte Auberge Schild. Doch dann der nächste Rückschlag: das Hotel ist geschlossen.

Zwar stehen noch ein paar kaputte Plastikstühle vor dem Gebäude, doch es brennt kein Licht und alles Klopfen und Rufen hilft nichts: Keiner da. Nur ein paar Kinder laufen um uns rum. Was nun?
Nach ein paar Minuten des Wartens erscheint ein Mann, der uns erklärt, dass der Hotelbesitzer wohl seit einiger Zeit im Krankenhaus liegt und seither die Auberge geschlossen sei. Während wir uns unterhalten, gesellt sich noch ein weiterer Mann zu uns, der ebenfalls nach einer Auberge sucht. Er bittet den anderen Mann nach einem Schlüssel fürs Hotel zu fragen und dieser trottet sogleich los in Richtung Dorf.
Währenddessen entdecken wir in der Dunkelheit, dass etwas oberhalb des Hotels auf der Spitze des Hügels ein Baumhaus steht. Ein kleines Schild neben der Straße verrät uns, dass hier Übernachtung im Baumhaus und diverse Outdoor Aktivitäten angeboten werden. Gemeinsam mit dem anderen Hotelgast, steigen wir also mit unserer Taschenlampe den steilen Hang hinauf und treffen dort tatsächlich auf weitere Personen. Eine Gruppe junger Männer und Frauen scheint gerade von einem Rafting-Trip zurückzukommen, völlig durchnässt und jeweils mit einem Gummireifen unter dem Arm geklemmt. In der kleinen Gruppe machen wir schließlich einen Verantwortlichen aus und schildern ihm unsere Misere und unseren Wunsch nach einer Schlafgelegenheit. Doch dies scheint ihn nicht im Geringsten zu interessieren. Ja, er habe Hütten und Betten zur Vermietung, doch nur in Kombination mit einer Outdoor Aktivität – wie z.B. wandern und raften. Begeistert von der Idee morgen auch noch an die erhoffte Wanderung & Bewegung an der frischen Luft zu kommen, frage ich gleich, was das Ganze denn kosten würde. Doch er winkt ab und schüttelt den Kopf – nein, das würde sich bei zwei Personen nicht rentieren. Er könne uns nicht weiterhelfen. Alles Nachfragen und Betteln hilft nichts. Er bleibt stur und meint nur es sei für ihn nicht lukrativ. Einen Preis bekommen wir nicht genannt.
Wir verstehen die Welt nicht mehr. Warum werden wir heute zum zweiten Mal in Folge von Besitzern einer Unterkunft abgewiesen? Warum möchte man mit uns kein Geld verdienen? Ja, vielleicht sehen wir gerade nicht nach 4-Sterne Touristen aus und könnten mal wieder eine Dusche und frische Klamotten gebrauchen, aber diese abweisende Haltung ist uns bisher auf der gesamten Reise noch nicht begegnet. Normalerweise wollen doch alle gerne mit uns Touristen ihr Geld verdienen – ein Win-Win für beide Parteien. Irgendetwas sagt mir, dass die Republik Kongo mit ihrer bisher sehr abweisenden Bevölkerung nicht wirklich mein Lieblingsland werden wird.
Geknickt trotten wir den Hügel hinunter zurück zum Auto. Unser bisheriger Begleiter verabschiedet sich und macht sich wieder zu Fuß auf den Weg zum Dorf, um dort nach einer alternativen Schlafgelegenheit zu fragen. Wir aber haben keine Kraft mehr und geben auf: Wenn wir das Auto nah an den Straßenrand parken, sollten sämtliche anderen Autos, sofern sich eins hier hoch verirrt, problemlos passieren können. Die hier nebenan lebende Familie scheint sich durch uns nicht gestört zu fühlen und eine andere Idee haben wir sowieso nicht. Nach dem Umrangieren des Autos, schnappen wir uns eine Packung Chips und eine Dose Bier und setzen uns auf die zwei durchgebrochenen Plastikstühle am Eingang der verschlossenen Auberge. Schweigend knabbern wir unser bescheidenes Abendessen und spülen es mit Bier herunter. Heute ist wohl der bisherige Tiefpunkt unserer Reise eingetreten. Ich wusste, dass das Passieren des Kongos und der danach folgenden DRC schwierig werden würde. Doch das heutige Pech gepaart mit der Reaktanz der Bevölkerung und dem Unwillen uns zu helfen frustrieren mich. Wir klappen unser Dachzelt auf und krabbeln in unsere Schlafsäcke. Gut dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, welche weiteren Härteproben in den kommenden Tagen noch auf uns warten!