Gabun – Teil 3: Von Albert Schweitzer und dem non-existenten Tourismus in Gabun

Das Prasseln des nächtlich immer stärker werdenden Regens und die Tatsache, dass sich die Regenmassen langsam, aber sicher ihren Weg in das Zeltinnere suchen, lassen uns am frühen Morgen aufwachen. Es ist kurz nach Morgengrauen und um uns herum herrscht bereits reges Treiben. Nicht nur wir, sondern auch einige Gäste haben die vergangene Nacht in der Unterkunft in Lambaréné verbracht und sind bereits emsig dabei sich lautstark über den Hinterhof hinweg zu unterhalten. An weiteren Schlaf ist nicht mehr zu denken, und so klettern wir raus aus unserem Zelt ins Freie. Als nächstes gilt es den Schlüssel für die freistehende, auf Holzstelzen gebaute Hütte neben dem Haupthaus zu ergattern, die man balancierend über Holzbretter trockenen Fußes erreichen kann. Hinter der windschiefen Tür befindet sich nämlich das Bad, in dem wir uns nur mit einer Taschenlampe bewaffnet, da die Glühbirne den Geist aufgegeben zu haben scheint, kurz frisch machen.

Trotz des Dauerregens wollen wir uns nicht davon abhalten lassen Lambaréné etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und auf Erkundungstour zu gehen. Diese geschichtsträchtige Stadt, die vor allem durch das Schaffen von Albrecht Schweitzer in der ganzen Welt eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, sollte man – wenn man schon einmal vor Ort ist – besichtigen. Doch da das Albert-Schweitzer-Museum erst gegen 9 Uhr öffnet, beschließen wir das gestrige Frühstück, das uns im Hotel de la Lope verwehrt blieb, nun in Lambaréné nachzuholen und steuern dafür ein ordentlich aussehendes Hotel direkt am Wasser des Flusses Ogooué an. Zwar schwirren hier analog zum Vortag wieder etliche Angestellte durch die Gegend, doch auch hier scheint man nicht sonderlich großes Interesse an Tagesgästen zu haben. Erst nach aktiver Nachfrage nach einer Speisekarte, dürfen wir ein Frühstück bestellen. Leider ist der Ausblick vom Wintergarten des Hotels aus ähnlich grau und verhangen, wie der Himmel des heutigen Tages und macht den trockenen Toast und den lauwarmen, überteuerten Kaffee nicht gerade schmackhafter. Doch uns ist bewusst, dass dieses Jammern tatsächlich ziemlich unangebracht ist, wenn man bedenkt, dass mehr als 30% der Bevölkerung in Gabon noch immer weit unter der Armutsgrenze lebt. Daher wird der Buttertoast ohne großes Murren mit dem lauwarmen Kaffee runtergespült und auf geht’s in Richtung Albert Schweitzer Museum.

Blick auf den Fluss Ogooué

Dieses wurde im ehemaligen Wohnhaus von Schweitzer, unmittelbar neben seiner früheren Wirkungsstätte und dem noch heute über die Landesgrenzen hinaus bekannten Albert-Schweitzer-Spital errichtet. Der deutsch-französische Albert Schweitzer, der zunächst Philosophie und Theologie studierte, stellte in jungen Jahren fest, dass er zusätzlich Medizin studieren möchte, um als Missionar nach Afrika gehen zu können und dort Bedürftigen zu helfen. Und so kam es, dass er 1913 im heutigen Gabun ein Hospital gründete, das dem damals noch unter französischer Kolonialmacht geführten Landes zu einer besseren medizinischen Versorgung verhelfen sollte. Auch wenn das Albert-Schweitzer-Spital und der beherzte Einsatz von Schweitzer zusammen mit seinen amerikanischen und europäischen Kollegen sicherlich vielen Menschen das Leben rettete, die sich eine normale ärztliche Behandlung nicht hätten leisten können, blieb die Vergabe des Friedensnobelpreises an Schweitzer und dessen patriarchalische Haltung gegenüber den afrikanischen Einwohnern nicht ohne Kritik. So oder so ist das Spital immer noch Anlaufstelle für rund 20.000 Patienten jährlich, die oftmals lange Reisen auf sich nehmen um eine Behandlung im berühmten „Urwaldspital“ zu erhalten. Auch wir wollen uns ein Bild vom Spital machen, das neben den Behandlungs- & Patientenräumen auch einen kleinen Supermarkt, eine Bäckerei und Werkstätten aufweist. Auf uns wirkt das berühmte Spital wie ein Relikt aus alten Zeiten, dessen früherer Charme es wohl nicht in die Neuzeit geschafft zu haben scheint. Schon bei der Auffahrt zum Klinikum werden wir von dicken, leicht zugewucherten Grabsteinen rechts und links der Straße empfangen. Ob das sonderlich aufbauen wirkt, wenn man tatsächlich zur Behandlung einer schlimmen Krankheit hierher anreist?

Wir werden vom Pförtner aufs Gelände gelassen und dürfen uns umsehen. Die Wartesäle und Gebäude, an denen wir vorbeispazieren, um zum Museum zu gelangen haben schon seit längerem keinen frischen Anstrich oder gar eine Renovierung erfahren und auch das Museum, das eigentlich bereits geöffnet haben sollte, wirkt nicht nur aufgrund der verschlossenen Tür, verwahrlost und abweisend. Zu gerne hätten wir ein bisschen mehr über Albert Schweitzer und seine Philosophie über „Die Ehrfurcht vor dem Leben“ erfahren, doch die Museumstür bleibt trotz Klopfen und Rufen verschlossen. Und so wandern noch ein wenig über das Gelände – vorbei an Schweitzers Grab und diversen Tiergehegen, wo Schweitzer zu Lebzeiten Tiere hielt und auch noch heute diverse Vogelarten wie zum Beispiel Pelikane umherschnattern. Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens lassen wir das Museum Museum sein und machen uns auf den Rückweg.

„Ich bin Leben, dass leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Albert Schweitzer
Grabstätte von Albert Schweitzer

Nachdem wir Lambaréné hinter uns gelassen haben, geht’s weiter auf gut ausgebauten Straßen in Richtung Süden. Wir sind etwas unentschlossen, wo wir nun als nächstes hinfahren sollen. Jegliche bisher angesteuerte „Touristenattraktion“ hat sich hier in Gabun als entweder unorganisiert, geschlossen oder logistisch nicht machbar erwiesen. Lange überlegen wir, ob wir nicht mit dem Auto an die Küste Gabuns fahren sollen, um dort die im Meer surfenden bzw. badenden Nilpferde und Elefanten zu sehen. Doch die mindestens einen Tag dauernde Fahrt über schlechte Straßen und die Tatsache, dass man auf dem Weg dorthin ein streng bewachtes Gebiet einer Ölraffinerie passieren muss, für dessen Durchqueren man eine vorherige Anmeldung benötigt und man schließlich nur mit Eskorte passieren darf, lässt uns diesen Plan schlussendlich doch verwerfen. Noch immer ratlos, welches Ziel wir als nächstes ansteuern sollen, durchkreuzen wir die ein oder andere Stadt am Wegesrand gen Süden. In einer der vielen Städte, die meist außer ein paar kleiner Läden, ein paar Garküchen, einer Bank, einer Kirche und mehreren Schulen nichts zu bieten haben, entdecken wir schließlich ein Nationalparkbüro. Aufgrund der vielen bunten Tiermalereien, die an der Fassade des Gebäudes zu sehen sind, sind wir auf das Haus aufmerksam geworden und beschließen spontan den dort gelangweilt im Büro rumhängenden Rangern einen Besuch abzustatten. Die Ranger sind mehr als überrascht über unseren Besuch, doch nachdem wir ihnen erklärt haben, dass wir eigentlich gerne etwas mehr von ihrem Land kennenlernen wollen und gerne ein paar Gorillas sehen würden, freuen sie sich sichtlich über die Abwechslung. Als erstes werden ein paar dicke Tierbücher mit schon leicht ausgeblichenen Gorilla-Bildern herbeigeschleppt, die wir gemeinsam durchblättern. Danach versuchen die Ranger heftig diskutierend uns einen Vorschlag zu unterbreiten. Zwar können sie uns nicht wirklich sagen, welchen Park wir ansteuern sollen, da sie selbst noch nicht oft in den Parks gewesen sind und daher keine Ahnung von der Befahrbarkeit der Wegstrecke oder der Wahrscheinlichkeit von Tierbeobachtungen aussprechen können. Doch bekommen wir von ihnen die Telefonnummer eines Mannes genannt, den wir kontaktieren sollen und der uns sicher weiterhelfen würde. Da sowohl im Ort selbst als auch auf den kommenden Kilometern Wegstrecke leider kein Telefonnetz auf dem Handy aufleuchtet, beschließen wir zunächst einmal einen kurzen Abstecher zum Lac Bleu zu machen, der laut unseres Reiseführers aus dem Jahr 2007 sehr hübsch sein soll. Doch mal wieder erweist sich die Anfahrt als großes Abenteuer. Neben tiefen Schlammgruben gilt es diverse Dornbüsche rechts und links der Straße zu überwinden, die sich mit ihren fiesen Stacheln in Rotkäppchens Lack verewigen. Aber die Ankunft am See ist die kurze, aber für Rotkäppchen schmerzhafte Anfahrt allemal wert. Der See, der in einem nahezu unwirklich scheinenden Blau-Grün erstrahlt, zieht uns wie magisch in seinen Bann. Weit und breit ist keine Menschenseele – einzig eine verlassene und vom Einsturz gefährdete Bauruine zusammen mit einigen Müllresten am Rande des Sees lassen darauf schließen, dass hier schon einmal andere Menschen vor Ort waren. Da die Sonne erbarmungslos vom Himmel strahlt, flüchten wir zusammen mit ein paar schnell geschmierten Broten mit Soße und einer Scheibe Schmelzkäse (mehr hat unser Kühlschrank leider nicht mehr zu bieten) in den Schatten der Bauruine. Wäre es nicht erst mittags und hätten wir nicht gerade neue Hoffnung geschöpft am nächsten Tag tatsächlich Gorillas oder andere vom Aussterben bedrohte Tiere in Gabun sehen zu können, wären wir hier sicher länger stehen geblieben.

Ein traumhafter Ort – Lac Bleu

So aber fahren wir uns nach dem Verputzen der Sandwiches wieder zurück zur Hauptstraße, auf der wir nach einigen weiteren Kilometern endlich Telefonnetz haben und die genannte Nummer anrufen können. Es stellt sich heraus, dass es sich hierbei um einen geschäftigen Privatmann handelt, der laut eigenen Aussagen früher Ranger war und sich nun selbstständig gemacht hat, um Touristen privat zu betreuen und in Parks rumzuführen. Auch wenn uns die Aussage, dass uns ein Privatmann in staatlich kontrollierten Schutzgebieten rumführen möchte, etwas stutzig macht, überwiegt unsere Freude darüber, dass wir endlich jemanden gefunden zu haben scheinen, der (a) Interesse an Touristen hat und (b) uns etwas von seinem schönen Land zeigen möchte. Mit der Aussage, dass er für uns eine Tour kalkulieren würde und wir einfach schon einmal in Richtung der Stadt Tchibanga fahren sollen, um am nächsten Tag mit ihm zum Gorilla-Trekking aufzubrechen, verabschieden wir uns und er verspricht innerhalb der nächsten Stunden ein Angebot per Mail zu schicken. Zwei Stunden später erhalten wir seine Mail und die aufgerufenen Kosten sind leider jenseits von Gut und Böse. Neben den hohen Eintrittsgebühren und den zusätzlichen Gebühren für die Gorillas, Verpflegung und Unterkunft, sollen wir ihn für seine Begleitung (es ist bereits ein Ranger und ein Trekker, der die Spuren zu den Gorillas finden soll berechnet) noch teuer bezahlen. Der Versuch die Gebühren zu reduzieren indem wir z.B. in unserem Auto schlafen und unsere eigene Verpflegung zum Trekking mitbringen wird nicht akzeptiert. Und so geben wir nach langer Diskussion auf – Gorillas sehen, ja, aber nicht zu jedem Preis – vor allem wenn man sich dabei übers Ohr gehauen fühlt. Ohne wirkliche Option B in der Tasche und der untergehenden Sonne im Nacken, beschließen wir trotzdem den Umweg zu wagen und in Richtung Tchibanga zu fahren. Dort muss es doch offizielle Parkranger geben, die bereit sind uns auch für die normale Gebühr Gorillas zu zeigen – ohne dabei sich privat noch eine goldene Nase dazuzuverdienen. Und so biegen wir von der Hauptstraße, die zur Grenze in Richtung Kongo führt, ab und versuchen noch vor 18 Uhr die Stadt Tchibanga und die dort ansässige Parkverwaltung zu erreichen. Die Fahrt dorthin wird dabei noch zum Nervenkitzel, da nicht nur die einsetzenden starken Regenfälle, welche ganze Bäche mit roten Schlamm über die Straßen fließen lassen das Vorankommen erschweren, sondern auch der immer wieder fehlende Straßenbelag und das Wasser, das sich zunehmend durch unsere Türen einen Weg ins Wageninnere sucht, die Fahrt nicht wirklich angenehm macht. Scheints war unsere Hoffnung, der Regenzeit entkommen zu sein doch etwas verfrüht. Jetzt gilt es das Beste daraus zu machen.

Kurz vor 18 Uhr erreichen wir endlich das langersehnte Gebäude der Parkverwaltung. Doch – passend zu unserer Pechsträhne der letzten Tage – ist niemand weit und breit zu sehen. Die Tür ist abgesperrt, das Gelände verlassen. Die Menschen, die mit neugierigen Blicken an uns und unserem Rotkäppchen vorbeieilen, zucken nur die Schultern, sobald wir versuchen herauszufinden, wo denn die zuständige Person der Parkverwaltung sei. Was nun? Unschlüssig wandern wir zwischen Auto und Gebäude hin und her. Einer der Passanten reagiert freundlich lächelnd auf mein Winken und kommt etwas zögerlich auf uns zu. Er sei der Bruder von einem der Ranger hier und wisse, wo dieser wohne. Da er diesen telefonisch nicht erreichen kann, macht er sich schließlich zu Fuß auf die Suche nach seinem Bruder. Und tatsächlich – nach weiteren 20 Minuten bangen Wartens – biegt schließlich ein Geländewagen mit 6 Rangern in die Einfahrt zum Gebäude. Wir können nicht ganz ausmachen, ob einer der Männer der gesuchte Bruder ist – aber wir werden sehr freundlich empfangen und man verspricht uns zu helfen. Nachdem sie unseren Wunsch Tiere – und vor allem Gorillas zu sehen – angehört haben – beginnt eine emotionale Diskussion unter den Rangern, der wir aufgrund der Sprachbarriere nicht ganz folgen können. Nach einigen Minuten werden wir ins Zimmer des Chefs zitiert, der vor sich eine große Landkarte von Gabun ausbreiten lässt in der die unterschiedlichen Parks mit ihren unterschiedlichsten Tierarten eingezeichnet sind. Man erklärt uns die jeweiligen Parks mit ihren Besonderheiten und der nächstgelegene Park stellt sich dabei als besonders bekannt für seine Affen – insbesondere für seine Gorillas heraus. Doch die kurz aufkeimende Hoffnung wird sogleich zunichte gemacht. Nicht nur sei vor kurzem die Brücke dorthin eingestürzt und unpassierbar, vielmehr bräuchte man mehrere Tage Vorlauf, um Fährtenleser auf die Suche nach Gorillas loszuschicken. Die zweite Option: Mit dem Boot flussaufwärts fahren und dabei Hippos, Krokodile und seltene Vögel beobachten. Das hört sich nach einem tollen Abenteuer an – doch bevor wir einschlagen und uns bzgl. Abfahrtzeiten und Startort austauschen können, wird unsere Euphorie schon wieder zunichte gemacht. Das Boot, das für diese Tour normalerweise verwendet wird, ist seit mehreren Monaten kaputt. Es wäre ja auch zu schön gewesen! Da die Männer sehen, wie enttäuscht und verzweifelt wir sind, überlegen sie nochmals scharf und machen uns schließlich ein weiteres Angebot – wir können morgen zu ihren Kollegen fahren, die etwa 60 Kilometer entfernt ein Parkbüro in Strandnähe haben. Von dort aus würden diese uns zu einem kostenlosen Gamedrive mitnehmen und wenn wir Glück haben, würden wir die seltenen und vom Aussterben stark bedrohten Waldelefanten zu Gesicht bekommen. Zwar kein Gorilla – aber immerhin! Zudem erlauben uns die Ranger gebührenfrei vor ihrem Gebäude zu campen. Na, vielleicht wendet sich ja doch noch alles zum Guten?! Wir bedanken uns bei den hilfsbereiten, wenn auch chaotischen Rangern, ziehen unsere Regenjacken an und wandern bei erneut einsetzenden Regen durch die kaum beleuchteten Straßen Tchibangas. Da die Straßenstände mit Hähnchenkeulen, Gemüse und zerstoßenem Maniok zwar einen guten Duft versprühen, aber keine Gelegenheit zum Sitzen bieten, landen wir schließlich in einem von der Straße her kaum ausfindig zu machendem Restaurant. Der Besitzer scheint überrascht über die spontan auftauchenden Gäste, doch eilt er gleich hinters Restaurant, um den Generator geräuschvoll anzuwerfen. Zwar verabschiedet sich dieser regelmäßig alle 20 Minuten und wir sitzen minutenlang im Dunkeln, doch der bemühte Wirt wird nicht müde jedes Mal mit einem Feuerzeug an unseren Tisch zu eilen, um einen kleinen Kerzenstummel fachmännisch zu entfachen. In der Zwischenzeit hat sich noch ein zweites Pärchen am Nachbartisch eingefunden und wir entschließen heute mal mutig zu sein und so bestellt Max ein Antilopensteak, während ich mir Fisch mit Gemüse gönne. Nach fast 1,5h Stunden Wartezeit und 5 Stromausfällen später genießen wir unser Festmahl und die Welt sieht schon wieder ein kleines bisschen besser aus. Wir versuchen uns einzureden, dass am morgigen Tag sicher eine tolle Überraschung auf uns warten wird und sich die ganzen Strapazen und Enttäuschungen bis hierhin sicher gelohnt haben. Ob wir da mal nicht zu optimistisch sind…