Heute geht’s tatsächlich los – wir fahren über die nigerianische Grenze! Noch vor ein paar Tagen waren wir fest von unserem Plan überzeugt mittels Fähre Nigeria auf unserer Reise in den Süden Afrikas auszulassen und von Togo aus nach Kamerun zu reisen. Doch nun wagen wir die Fahrt durch dieses Land, dem so ein schlechter und gefährlicher Ruf vorauseilt, dass ich nicht weiter darüber nachdenken mag.
Nachdem wir in Porto Novo noch schnell die am Vorabend erhaltenen „Visa on Arrival“-Papiere ausgedruckt haben, fahren wir mit einem etwas flauen Gefühl im Magen dem nahegelegenen Grenzposten entgegen. Hier haben unsere Freunde Amy & Christos bereits einen Tag zuvor die Grenze mit ihrem normalen Visum überquert und von den dortigen Beamten bestätigt bekommen, dass auch wir mit unserem „Visa on Arrival“-Dokument keine Probleme haben würden. Doch weit gefehlt!
Nachdem wir erfolgreich an der kleinen Grenze von den freundlichen und bereits am frühen Morgen Bier trinkenden beninischen Beamten ausgestempelt wurden, irren wir einige Zeit auf nigerianischer Seite von einer Holzhütte zur nächsten, um einen Grenzbeamten zu finden, der uns bei dem Erhalt unserer Einreisebescheinigung helfen kann. Als wir endlich zum Schreibtisch eines offiziell wirkenden Grenzers geführt werden, lächelt uns dieser bereits zu und hält uns sein Handy mit einem Bild entgegen das ihn zusammen mit unseren Freunden Amy & Christos zeigt. Wir freuen uns, dass unsere Vorankündigung durch unsere Freunde Früchte getragen zu haben scheint und sind zuversichtlich, dass einer schnellen Visa-Beschaffung nichts mehr im Wege steht. Doch zu früh gefreut! Nach endlos scheinenden Telefonaten und einer Wanderung durch mehrere andere Bürogebäude, erklärt uns der Beamte etwas geknickt, dass sie uns sehr gerne bei der Visa-Beschaffung geholfen und uns zum Flughafen begleitet hätten, ihm aber leider nicht genug Personal zur Verfügung steht, als dass er eine Person dafür abbestellen könne und wir daher zu einer anderen Grenze fahren müssen. Wäre ja auch zu schön gewesen! Also wieder rein ins Auto und zurück zum Grenzposten von Benin. Unsere Befürchtungen, dass wir hier endlose Diskussionen über uns ergehen lassen müssen, um wieder einreisen zu dürfen, da wir ja nur ein einfaches Visum für Benin besitzen und bereits offiziell ausgestempelt sind, erweisen sich als unbegründet. Tatsächlich lassen uns die Beamten, nachdem sie sich unsere Misere angehört haben, ohne einen weiteren Stempel in unseren Pass oder den Carnet de Passage von Rotkäppchen zu drücken passieren. Wir sind also nun illegale nach Benin eingereist und können nur hoffen, dass uns keine Polizeikontrolle oder der kommende Grenzposten Probleme bereitet. Und tatsächlich ist das Glück dieses Mal auf unserer Seite und wir erreichen ohne Zwischenstopp die zweite Grenze.
Doch nun beginnt eigentlich erst der wahre Visa-Wahnsinn. Wir werden in einen Warteraum gebracht, wo man uns nach Einsicht unserer Unterlagen erst einmal alleine zurücklässt. Neben uns wartet auch bereits ein Jamaikaner auf seine Einreiseerlaubnis nach Nigeria.
Immer wieder erscheinen Angestellte, die sich nach unserem Befinden erkundigen und uns versichern, dass man sich um unsere Zulassung kümmern würde. Doch so wirklich passiert hier erst einmal nichts. Während Max einen gratis Kaffee angeboten bekommt (was für eine Gastfreundschaft!), bekomme ich einen Beamten an die Seite gestellt, der mir helfen soll unsere restlichen CFA in nigerianische Naira zu wechseln. Illegal wohlgemerkt! Dafür läuft er mit mir zu einem kleinen Reisebus, in den er kurz verschwindet, um dann mit einem Mann mit einem dicken Geldbündel in der Hand wieder aufzutauchen. Nach einigem Gefeilsche erhalte ich zu einem akzeptablen Kurs die nigerianischen Geldscheine. In der Zwischenzeit ist es bereits mittags und wir werden zunehmend angespannter. Immerhin müssen wir heute noch die 100km in die Riesenmetropole Lagos zurücklegen, für die man laut anderer Reisender zwischen 3-6 Stunden je nach Verkehr einplanen sollte. Zudem wurde uns erklärt, dass wir dort den Flughafen zusammen mit einem uns begleitenden Grenzbeamten aufsuchen müssen, um dort unser offizielles Visum und damit die Aufenthaltsgenehmigung für Nigeria ausgestellt zu bekommen.
Endlich werden wir gebeten ein Stockwerk tiefer in das Büro eines grimmig dreinblickenden Beamten zu gehen, wo wir unseren Visa-Antrag rechtfertigen müssen und noch einmal geprüft wird, ob wir tatsächlich für die Einreise zugelassen werden. Wir sind ganz schön am Schwitzen – immerhin haben wir die Papiere für das „Visa on Arrival“ ja erst einen Abend zuvor von einem ominösen Mittelsmann erhalten, ohne zu wissen, ob die Papiere offiziell anerkannt sind. Doch unsere Sorgen sind unbegründet und der grimmige Beamte drückt einen Stempel samt Unterschrift auf unsere Dokumente und sagt, dass wir nun mit einem Beamten zum Flughafen losfahren dürfen.
Da allerdings auch der Jamaikaner auf diese Weise nach Nigeria einreisen möchte und wir uns einen Beamten teilen sollen, warten wir noch eine ganze Weile, bis schließlich auch dessen Begründung nach Nigeria einzureisen akzeptiert und seine Papiere offiziell gestempelt sind. Als nun sowohl der Grenzbeamte als auch der Jamaikaner zusammen mit uns in unser Auto steigen wollen, protestiere ich lautstark. Ich habe mich bereits damit abgefunden, dass ich die nächsten Stunden hinten in Rotkäppchen liegend verbringen würde, da wir ja lediglich 2 Sitze in Rotkäppchen haben und der Grenzbeamte irgendwie mitgenommen werden muss. Doch die Rückbank nun auch noch mit dem Jamaikaner zu teilen geht dann doch etwas zu weit. Nach einigem Hin- & Her und lautem Gefeilsche ist schließlich ein Taxi aufgetrieben, das den Jamaikaner nach Lagos fahren soll, während wir zusammen mit dem Grenzbeamten die Reise in Rotkäppchen antreten. Auf geht’s!
Während der Taxifahrer ohne Rücksicht auf Verluste losbrettert und die schlammigen Schlaglöcher im Asphalt – sofern überhaupt noch Asphalt vorhanden ist – mit seinem Taxi überspringt, machen wir uns mit einem etwas gesünderen Tempo auf die Reise Richtung Lagos.

Alle 500 Meter werden wir dabei von unterschiedlichsten Kontrollposten aufgehalten und unsere Dokumente kontrolliert. Dabei stehen die Beamten, die entweder von der Gesundheits-, Einreise- oder Sicherheitsbehörde oder vom Militär, der Polizei oder dem Grenzschutz sind, mit Baseballschläger, Golfschlägern oder anderen Knüppeln oder gar Gewehren bewaffnet am Straßenrand und scheuen sich nicht, auf vorbeifahrende Motorradfahrer oder Autos einzuschlagen, sofern diese sich einen vermeintlichen Fehler beim Passieren der Kontrolle leisten. Dieses skrupellose Vorgehen der Beamten, gepaart mit den bisher chaotischsten Straßenverhältnissen, den Massen an Passanten am Straßenrand und dem Gerüttel im Auto setzen uns wahnsinnig zu.
Die Vorstellung nun ca. eine Woche lang dieser unkalkulierbaren und willkürlich scheinenden Gewaltbereitschaft ausgesetzt zu sein und nur im Schneckentempo unter Gefahr das Auto im nächsten mannshohen Schlammloch zu versenken voranzukommen, lässt nicht gerade Vorfreude in uns aufkeimen.

Während unser Begleiter Victor nach 35 (!) passierten Kontrollen vollkommen erschöpft auf dem Beifahrersitz neben Max einschläft, versuchen wir uns langsam aber stetig Richtung Flughafen vorzukämpfen. Geschlagene 3,5h schlängeln wir uns durch den Verkehrsdschungel, bis wir schließlich an unserem Ziel ankommen: Der Flughafen von Lagos.
Doch das Taxi mit dem Jamaikaner ist weit und breit nicht zu sehen. Wie sich rausstellt hat der Taxifahrer eine halbe Stunde vor dem Ziel beschlossen auf uns zu „warten“ ohne uns darüber zu informieren – was bei einer abweichenden Fahrstrecke ein mehr als unsinniges Vorhaben ist – und so müssen wir weitere 30 Minuten damit zubringen, auf unseren jamaikanischen Freund zu warten. Endlich geht es los, hinein in das modern wirkende Flughafengebäude. Victor schleust uns durch diverse enge Gänge, bis wir schließlich in einem von Akten vollkommen überfüllten Büro stehen, wo man Angst haben muss, im nächsten Moment von einem unkippenden Aktenturm erschlagen zu werden. Hier werden die Papiere vorgezeigt, kontrolliert und man schickt uns weiter zum nächsten Büro. Dort treffen wir auf einen kritisch dreinblickenden Anzugträger, der uns erst einmal gebietet uns zu setzen. Er greift sich langsam unsere Unterlagen und prüft diese eingehend. Während unsere Unterlagen einigermaßen zügig abgenickt werden und einen weiteren Stempel erhalten, wird der Jamaikaner in die Mangel genommen. Seine Story von einem unehelichen Kind, das er nun n Nigeria besuchen möchte, hört sich sogar für mich als Außenstehende mehr als unglaubwürdig an. Doch nach einigem Hin & Her erhält auch er seinen nächsten Stempel. Doch es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn wir nach nun fast 10-stündiger Visums-Odyssee einen Sticker mit einer Aufenthaltsgenehmigung bekommen hätten.
Nachdem sich der uns bis hierher begleitende Grenzbeamte Victor aus dem Staub gemacht hat – nicht ohne sich noch Geld für die Rückfahrt zur Grenze von uns geben zu lassen – wandern wir mit unserem jamaikanischen Begleiter zur Abfertigungshalle, wo normalerweise die Fluggäste ankommen. Hier müssen wir erst einmal die Sicherheitsbeamten überreden, dass sie uns zum Visa-Büro durchlassen, um schließlich in einem Büro mit drei gelangweilt dreinblickenden Beamten zu stehen.
Diese eröffnen uns sogleich, dass eine Kartenzahlung der Visa-Gebühr ohne einer Registrierungsnummer, die man durch das Ausfüllen des 15-seitigen Online-Formulars erhält, nicht möglich ist. Mit dem einigermaßen stabilen Wlan Netz des Flughafens versuchen wir nun dieses Formular mit unseren Handys auszufüllen, doch allein der Upload eines auf eine gewisse Pixel-Anzahl zugeschnittenen Passbildes lässt uns scheitern. Während der Jamaikaner den Beamten Schmiergeld zusteckt, damit diese ihm das Formular ausfüllen, weigern wir uns es ihm gleichzutun. Hier sitzen 3 Beamte, die nichts zu tun haben und gleich je 120 Dollar pro Visum erhalten werden, da muss der Service des Ausfüllens unserer Anträge inklusive sein. Alles andere wäre lächerlich. Und tatsächlich, nach einer sehr hitzigen Diskussion über Korruption und Arbeitsmoral werden unsere Formulare ausgefüllt und wir dürfen mit der Karte bezahlen. Natürlich nicht ohne noch jeweils einen Service-Fee von 20 US-Dollar zu begleichen, der auf einem selbstausgedruckten Zettel an der Wand angekündigt wird. Wie soll dieses Land nur funktionieren, wenn hier der Verwaltungsapparat derart korrupt und unfähig zu sein scheint? Wir sind auf jeden Fall fix und fertig und wollen nur noch raus aus dem Flughafen. Mit unserem offiziellen Visum in der Hand geht es also zurück zu Rotkäppchen, um noch kurz vor Dunkelheit einen Schlafplatz in der Megametropole zu ergattern.
Doch die Hotels, über die wir vorab recherchiert hatten, dass man dort zu günstigen Konditionen auf dem Parkplatz campen kann, lassen sich entweder nicht finden, oder sie verweigern uns das Übernachten im Auto. Verzweifelt suchen wir im Dunkeln weiter, um in dieser vollkommen überteuerten und überfüllten Stadt doch noch ein Schlafquartier zu bekommen. Das bedeutet letztendlich auch, dass wir Parkwächter und andere Passanten ansprechen, ob sie uns nicht einen günstigen Schlafplatz nennen können. Einen davon nehmen wir tatsächlich im Auto mit (Der Vorsatz #1 für Nigeria – nimm nie einen Wildfremden in deinem Auto mit, ist damit schon am ersten Tag gebrochen!). Doch leider erweist sich seine Übernachtung als verfallenes, unsicher wirkendes Gelände für das er umgerechnet gut 30€ haben möchte. Nahe an der Verzweiflung fragen wir schließlich einen Restaurantbesitzer, dessen Restaurant auf einem kleinen abgezäunten Gelände direkt an einer geschäftigen Straße liegt und sich einigermaßen sicher anfühlt. Efe, der Restaurantbesitzer, erkennt sofort unsere Verzweiflung und verspricht uns zu helfen. Einige klärende Worte mit den Parkwächtern des Geländes später kommt er strahlend zurück und erklärt uns, dass wir die Nacht vor seinem Restaurant campieren können. Ein Stein fällt von unseren Herzen! Vollkommen erschöpft genießen wir einen leckeren und höllisch scharfen Jollof-Reis in Efe’s Restaurant und lernen noch einige seiner Freunde aus der Marine kennen, die sich ebenfalls an unseren Tisch gesellen. Zudem wird lautstark mit anderen Restaurantgästen über die Tische hinweg diskutiert, in welche Regionen Nigerias wir reisen dürfen und wo wir mit Sicherheit gekidnappt würden. Krönung des Abends ins schließlich ein Telefonat mit Efe’s Geliebter aus Australien, die ungefähr doppelt so alt wie er zu sein scheint und die er um 4 Uhr morgens in Australien aus dem Bett klingelt, um ihr seine zwei neuen weißen Freunde vorzustellen.
Wir kriechen schließlich um 11 Uhr abends komplett fertig in unser Dachzelt und weder der Straßenlärm, die stickige Hitze im Zelt, noch die laut neben uns knatternde Klimaanlage können uns davon abhalten in einen tiefen Schlaf inmitten von Lagos betriebsamen Flughafenviertel zu fallen.

Endlich mal Lächeln im Gesicht .:-) Ich drücke euch die Daumen !!
Nigeria ist kein Zuckerwatte. halt ihr durch.
Liebe Grüße
Robert von afrikanische Restaurant in München
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Danke dir, Robert! Tatsächlich war Nigeria viel schöner als erwartet und wir hatten eine super Zeit vor Ort.
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Wow. Ich war im November für 2 Wochen in Lagos bzw. Lekki beruflich unterwegs
Auch ich hatte meine Liebe Not mit den Nigerianischen Zollbeamten am Flughafen und musste schmunzeln als ich den Bericht gelesen habe.
Wie du schon gesagt hast, trotz aller Umstände dort, war ich bzw. bin ich noch immer hin und weg über das Land und teilweise den Leuten.
Hoffe das ich bald wieder die Möglichkeit bekomme, nach Lagos zu reisen – auch wenn es nicht ungefährlich ist.
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Ja, wenn man selbst einmal vor Ort war, weiß man wie sehr einen die Grenzbeamten am Flughafen zappeln lassen können. 😉
Stimmt, Nigeria ist eine absolute Perle Afrikas, die leider viel zu oft negativ in den Medien dargestellt wird.
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