Benin – Teil 2: Von gruseligen Affenköpfen und wunderschönen Stelzendörfern

Unser erster Morgen in Benin beginnt um 6 Uhr. Das Meer rauscht und wir starten mit frisch gebrühtem Kaffee und einer Schale Haferflocken mit Instant-Milch in den Tag. Frisch gestärkt klappen wir das Zelt zusammen und düsen in Richtung Cotonou. Die Vorwarnung meines Vaters, dass es sich hierbei um die „Stadt der Mopeds“ handelt, können wir ziemlich schnell am eigenen Leibe erfahren. Von überall her kreuzen Mopeds die Straßenbahn und scheren waghalsig und oftmals schwer überladen vor unserem Rotkäppchen ein. Max muss ganz schön aufpassen, dass uns keins der todesmutigen Gefährte zu nahe kommt.

Rein in die Stadt der Mopeds – Cotonou

Unser heutiges Ziel: Visa für die Demokratische Republik Kongo, Gabon und die Republik Kongo besorgen. Mit einem zeitlich durchgetakteten Masterplan im Kopf und voller Tatendrang starten wir also unseren „Visa Run“.

Zuerst geht es zur Botschaft der Demokratischen Republik Kongo (DRC). Wir haben bereits vorab recherchiert, dass man mit viel Überzeugungskraft und Argumentationsgeschick den Botschafter zu einer zügigen Bearbeitung überreden kann. Dank unserem frühen Erscheinen lässt sich der bearbeitende Botschafter tatsächlich zu einer Abholung am Nachmittag breitschlagen. Ob er Wort hält, wissen wir noch nicht. Doch von dem ersten kleinen Erfolg motiviert, geht es weiter zur Botschaft von Gabon. Einige chaotische Minuten Autofahrt später finden wir einen Parkplatz vor dem Botschaftsgebäude. Auch hier haben wir Glück. Zwar dauert die ganze Prozedur von Ausfüllen des Antragscheins, über die Abgabe der Dokumente bis hin zum fertigen Visa-Sticker gut eine Stunde. Allerdings erkennt die sichtlich gelangweilte und unterforderte Botschafts-Sekretärin schnell unsere Dringlichkeit und erklärt sich bereit ein gutes Wort beim ausstellenden Botschafter einzulegen. Und tatsächlich halten wir um 11 Uhr unser erstes Visum des Tages in Händen. Nach Gabon dürfen wir schon einmal einreisen. Was für ein Glück, dass wir in Deutschland jeweils einen zweiten Reisepass haben ausstellen lassen! Ohne diesen hätten wir erst nach Vollendung des DRC Visums das Gabon-Visum einsammeln können.

Aber keine Zeit zum Feiern, es geht weiter durch das Verkehrschaos der Stadt zur dritten Botschaft: Republik Kongo. Hier aber verlässt uns das Glück. Auf der Tür zum herrschaftlich aussehenden Botschaftsgebäude empfängt uns ein Schild mit der Info, dass die Ausstellung von Visa lediglich an zwei Tagen in der Woche möglich ist – und diese entsprechen natürlich nicht dem heutigen Wochentag. Verdammt! Aber wenn wir eines auf der Reise gelernt haben, dann ist es die Tatsache, dass man nie aufgeben sollte und in Afrika so manche Regularien mit einem freundlichen Lächeln etwas weiter ausgelegt werden können. Und so ist es dann auch: Tatsächlich treffen wir in der Vorhalle der Botschaft eine freundliche Dame, die uns erklärt, dass heute kein Ausstellungstag für Visa ist und überhaupt der Prozess eigentlich mehrere Tage in Anspruch nehmen würde. Trotzdem lässt sie uns netterweise schon einmal die Formulare ausfüllen und den Visaantrag einreichen. Etwas geknickt füllen wir zum dritten Mal an diesem Tag ein zweiseitig bedrucktes Dokument mit zig Fragen zu Aufenthalt, Geldvorräten und Reisegrund aus und suchen nach weiteren zwei Passfotos, die wir dem Formular beilegen. Auf die Frage hin, wann wir denn in den nächsten Tagen unsere Pässe abholen können, bittet uns die Dame zu warten und verschwindet mit unseren Unterlagen in den Hinterräumen. Frustriert und über die Änderung unserer Reisepläne aufgrund des ungeplanten Visa-Zwangsaufenthalts in Cotonou diskutierend warten wir geschlagene 20 Minuten. Endlich kündigt ein Schuh-Geklapper auf der Treppe die Rückkehr unserer Ansprechpartnerin an. Freudig überreicht Sie uns unsere Pässe und verkündet den zu zahlenden Preis für die Visa. Das war das Letzte, was wir erwartet hätten. Tatsächlich hat sie es geschafft innerhalb von 20 Minuten an einem „Nicht-Antragstag“ unsere Dokumente bearbeitet und ausgefüllt zubekommen wofür man sonst mehrere Tage benötigt. Ich bin kurz davor die Dame zu umarmen, begnüge mich aber dann mit einer freudestrahlenden Überreichung der Visa-Kosten. Visum #2 für die Republik Kongo – check!

Nach so viel unerwartetem Glück brauchen wir erst einmal eine Stärkung. Da unsere Freunde Christos und Amy aufgrund einer Autoreparatur aktuell ebenfalls in Cotonou weilen, entscheiden wir uns spontan für ein gemeinsames Mittagessen. Dort tauschen wir unsere im wahrsten Sinne des Wortes „Grenzerfahrungen“ aus und beschließen gemeinsam nach dem Mittagessen zur Botschaft der Demokratischen Republik Kongo zu fahren um dort die Pässe abzuholen (Amy & Christos haben hier ebenfalls am Vortrag ihr Visum beantragt).  Der Botschafter hat Wort gehalten und überreicht uns feierlich die Reisepässe mit gültigem Visum. Halleluja – wenn alle Visa-Anträge so schnell klappen würden. 3 Visa an einem Tag, das muss ein neuer Overlander-Rekord sein.

Uns reichts für heute mit der ganzen Bürokratie und den Behördenläufen und so beschließen Max & ich noch Cotonou zu erkunden. Immerhin haben wir bisher nur Stau, lebensmüde Moped-Fahrer und teils stark vermüllte Straßen zu Gesicht bekommen. Und so stauen wir uns ins Stadtzentrum von Cotonou, wo ein riesiger Markt für ein noch größeres Verkehrschaos sorgt. Nach etwas angespannten Minuten im dichten Stadtverkehr finden wir schließlich einen annehmbaren Parkplatz für Rotkäppchen und machen uns zu Fuß auf den Weg durch den Markt. Dabei wollen wir nicht nur durch den Obst-, Gemüse und Kleider-Markt bummeln, sondern unser eigentliches Ziel ist der Fetisch-Markt. Doch diesen zu finden ist gar nicht so einfach. Die meisten Marktfrauen schütteln nur mit dem Kopf sobald wir sie nach der Lage des Voodoo-Marktes fragen, oder sie erfreuen sich wild kichernd mit ihren Kolleginnen darüber, dass wir weißen Touristen sie angequatscht haben. Zwar sind all diese Begegnungen sehr witzig, aber wirklich weiter an unser Ziel bringen sie uns nicht. Schließlich stellt sich ein Polizist in Uniform als Kenner des Vodoo-Marktes heraus und weist uns den Weg. Und tatsächlich – der Fetisch-Markt ist mehr als sehenswert. Mehrere hundert Meter lang reiht sich hier ein Stand an den anderen und es werden die kuriosesten Sachen angeboten.

Während getrocknete Affenschädel, lebendige & tote Chamäleons und Kamelköpfe die Herzen von Voodoo-Anhängern wohl höherschlagen lassen, weichen wir erst einmal vor dem Geruch von Tot und Verwesung zurück. Hier bekommst du wirklich alles, was du nicht haben möchtest. Sogar kleine tote, knallgelbe Piepmatze und große Vogellköpfe sind auf der Auslage zu finden. Wir lassen uns von einem der Standbesitzer erklären, wozu die einzelnen Gegenstände nützlich sind. Dabei helfen laut seiner Aussage kleine geschnitzte Holzpuppen bei richtiger Voodoo-Anwendung für ein besseres Sexualleben und mehr Fruchtbarkeit, während das zerreiben von Tiergebein die ein oder andere Krankheit heilen kann. Als wir so durch die engen Marktreihen schweifen – hoch konzentriert nicht vom strengen Geruch der toten Tiere erschlagen zu werden oder versehentlich aufgrund der Enge eins der Tierköpfe runterzuwerfen – reist uns plötzlich ein Babygebrüll aus den Gedanken. Das kleine Kind scheint noch nie zuvor Weiße gesehen zu haben und unser Anblick bringt – zur Belustigung der Eltern – das kleine Kind komplett aus dem Konzept. Alle liebevoll gemeinten Gesten und Grimassen unsererseits helfen nichts – das Baby beginnt nur noch lauter zu schreien. Dann lieber schnell weg hier!

Vorbei an vielen weiteren toten Tieren – darunter auch eine tote Ratte (wobei man nicht genau ausmachen kann, ob die hier zufällig über den Voodoo-Markt gelaufen und tot umgefallen ist, oder tatsächliches als Auslagestück dient) – erreichen wir schließlich den Lebensmittelmarkt. Doch kaum haben wir die Marktstände betreten, schon lässt uns erneut das Geschrei von einem Baby zusammenfahren. Wieder schaut uns dieses mit ängstlich aufgerissenen, großen Augen an und brüllt aus Leibeskräften. Oh je, hoffentlich hat uns hier kein Voodoo-Fluch auf dem Markt eingeholt! Wir haben auf jeden Fall genug von den vielen Eindrücken, dem Gewusel, Gestank und den Menschenmassen und gehen zurück zu Rotkäppchen.

Zwischen Fischmarkt und Obstständen – kein Wunder, dass hier ab und an Ratten in den Voodoo-Markt verirren

Raus aus der Stadt – rein in die Natur & Idylle. So, oder so ähnlich ist zumindest unser Plan. Wir wollen die kommende Nacht in Ganvie – einem Stelzendorf nördlich von Cotonou – verbringen. Dabei handelt es sich um ein Dorf mit ca. 20.000 Einwohnern, das auf Pfählen mitten im See Nokoué errichtet wurde. Grund für diese doch etwas gewöhnungsdürftige Bauweise über dem Wasser war der Sklavenhandel. Aus Angst von den befeindeten Stämmen gefangen genommen und an die weißen Kolonialmächte als Sklaven verkauft oder eingetauscht zu werden, waren die Bewohner von Ganvie auf eine geniale Idee gekommen: Die befeindeten Stämme hatten Angst vor Wasser und würden sich nicht trauen ihre Häuser anzugreifen, sofern diese in Mitten des Sees angesiedelt wären. Also errichteten sie Pfahlbauten und gestalteten ihr Leben so um, dass sie ihr bisheriges Leben an Land aufs Wasser übertragen konnten. Und so leben die Bewohner noch heute.

Farbenfrohes Stelzendorf – Ganvie

So eine Lebensweise und Kultur wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen und nachdem wir uns mit einer kleinen Auberge über den Übernachtungspreis und den Bootstransfer einig geworden sind, lassen wir Rotkäppchen an Land zurück und werden per Boot zu unserer Stelzenunterkunft gefahren. Schon von weitem beeindrucken uns die Pfahlbauten und die kleinen wie großen Boote, die sich zwischen den Häusern hin- und her schlängeln. Mittels ausgefeilter Techniken werden hier per Netz, Reuse und aufgestellte Fallen auf traditionelle Weise Fischfang betrieben – Haupteinnahmequelle der hiesigen Dorfbewohner. Diese entschleunigte und ursprüngliche Lebensweise ist genau das Richtige heute nach einem stressigen Tag in der Hauptstadt.

Und so beziehen wir als einzige Gäste der kleinen Herberge unser Zimmer mit Blick aufs Stelzendorf und genießen bei einer Flasche Bier das quirlige Treiben auf dem Wasser. Unzählige Boote reihen sich abends zu einer Warteschlange ein, um bei der Wasserstation, die eine der wenigen oder gar die einzige Trinkwasserquelle hier im Dorf zu sein scheint, die Wasservorräte aufzufüllen. Stundenlang könnten wir zusehen, wie der Pumpmeister Boot für Boot gegen ein paar Münzen die Bevölkerung mit frischem Wasser versorgt und dabei entweder freche Kinder (scheints wird man hier bereits mit 5 Jahren allein im Boot zum Wasserholen geschickt) nass spritzt oder versehentlich ganze Boote volllaufen lässt, die dann von ihren Besitzern wieder mit einer Kelle leer geschöpft werden müssen.

Als wir zum Abendessen gerufen werden, können wir uns endlich von dem unterhaltsamen Spektakel losreißen und genießen unser Essen. Ein weiterer verrückter, ereignisreicher und gleichzeitig erfolgreicher Tag geht in Benin zu Ende. Wir sind gespannt, was uns morgen so erwartet.

Beninkleines Land mit ganz großer Kultur