Sierra Leone – Teil 1: Von verwirrten Wildtauben und unerwarteten Mautstellen

Der letzte Morgen in Guinea, bevor wir zur Grenze nach Sierra Leone aufbrechen, beginnt ereignisreich. Nachdem wir am vorherigen Abend bereits Bekanntschaft mit der Wankelmütigkeit der Hotelbesitzer machen durften, wird diese nun gekrönt mit einem neuen Affront: als wir unser Zelt eingeklappt haben und unsere Campingnacht mit den vereinbarten 5 Euro begleichen wollen, treffen wir auf Unverständnis und verärgerte Gesichter. Nein, man habe einen viel höheren Preis vereinbart und würde nicht verstehen, warum wir nun nur einen Bruchteil der noch ausstehenden Summe zahlen wollen. Wir sind geschockt. Immerhin hatten sie uns ja vehement davon abgebracht abends noch nach einem neuen Quartier zu suchen und wir beide sind uns sicher, dass wir uns per Handschlag auf 5 Euro verständigt haben.

Was nun? Während erneut der vermeintliche Patron gerufen wird, um mit uns die Angelegenheit zu klären, machen wir alles abfahrbereit. Der eintreffende Patron mit streitsüchtigem Gesichtsausdruck und einer starken Alkoholfahne verheißt nichts Gutes. Nach Erklärung des Sachverhalts wird er laut, beschimpft uns und besteht auf den in seinen Augen fairen Preis in Höhe von 30 Euro. Max beginnt ebenfalls wütend zu werden und die Situation ist mehr als angespannt. Da wir bereits die 5 Euro abgedrückt haben und in unseren Augen keine Schulden mehr offen sind, verständigen Max und ich uns auf den Versuch abzuhauen. Sprich Max hüpft ins Auto, um dieses aus dem großen Tor rückwärts rauszufahren, während ich versuche den Patron vom Schließen des Tores abzubringen. Das macht ihn allerdings noch wütender und ich werde von ihm grob zur Seite geschubst. Er droht lautstark damit die Polizei zu rufen, während wir ihm ebenfalls versuchen klar zu machen, dass er aus unserer Sicht gerne die Hüter des Gesetzes rufen darf und wir parallel bei der Deutschen Botschaft anrufen werden. Tatsächlich erreicht er kurze Zeit später telefonisch einen Polizisten, der ein Kumpel von ihm zu sein scheint, und wir ahnen Böses. In dieser Situation mit dem befreundeten Polizei-Chief im Gepäck wird niemals jemand den Worten der weißen Touristen glauben schenken und ich sehe uns schon zum Verhör und späterer Schmiergeldzahlung im Polizeirevier sitzen.

Doch während wir auf den herannahenden Police Officer warten, starten wir einen letzten Anlauf, um aus dieser brenzligen Situation zu kommen. Der Ansatz lautet: einfach cool bleiben und innere Ruhe bzw. Selbstüberzeugung der eigenen Unschuld ausstrahlen – das verunsichert das Gegenüber. Gesagt, getan. Während Max noch zweifelt, ob unser Plan aufgeht, beginne ich unsere Küchenschublade aufzuziehen und unsere italienische Macchina mit frischem Wasser und Kaffee zu befüllen. Der Patron schaut uns verwirrt an und fragt, was wir hier machen würden. Max‘ trockene, höfliche Antwort: „Nous faison le café. Vous voulez un peu de café? – Wir kochen Kaffee. Wollen Sie was davon kosten?“ In diesem Moment haben wir den Kampf gewonnen. Unser Gegenüber muss lachen, schüttelt nur den Kopf und gibt uns zu verstehen, dass wir verrückten Weißen schleunigst das Weite suchen sollen, bevor er sich’s anders überlegt. Genau zur richtigen Zeit, da in diesem Moment der Police Office auf einem Moped vorfährt und sich erkundigt, was es zu tun gäbe. Auch er wird sogleich wieder weggeschickt. Wir packen schnell unseren Kaffee zusammen und drücken aufs Gaspedal. Nichts wie weg hier und raus aus Guinea.

Sierra Leone – wir könnens kaum erwarten dich endlich zu sehen!

Und tatsächlich, der Grenzübertritt verläuft problemlos und wir werden in Sierra Leone herzlich willkommen geheißen. Dies ist uns zuletzt in Gambia passiert – ob das wohl mit den englischsprachigen Ländern zusammenhängt, dass man dort irgendwie euphorischer gegenüber den Touristen auftritt und wir mehr Herzlichkeit empfinden (Sierra Leone war britische Kolonie und hat dadurch Englisch als Amtsprache behalten)? Oder hängt es mit den schlechten Erfahrungen des letzten Tages zusammen, dass mir dieser Gedanke kommt? Ich weiß es nicht.

Beschwingt von der Tatsache, dass wir endlich wieder nahezu 100% der gesprochenen Sprache verstehen und dadurch Missverständnissen besser aus dem Weg gehen können und der Freundlichkeit, die uns selbst von den Beamten entgegengebracht wird, schaffen wir es nach kurzem freundlichen Wortwechsel, die geforderte Tourist Road Tax in Höhe von umgerechnet 10 Euro weg zu verhandeln. Und so starten wir auf sehr gut ausgebauten Straßen unsere neue Entdeckungstour durch Sierra Leone.   Nach einigen Kilometern mit 80 Km/h auf schlaglochfreier Straße (EU-Fördergelder machens möglich!), macht es plötzlich ein dumpfes Geräusch und Rotkäppchen hat eine Wildtaube im Kühlergrill gefangen. Da ich mir den Anblick ersparen möchte, springt Max aus dem Auto und schaut sich die Sache einmal genauer an. Sein Blick verheißt nichts Gutes. Scheinbar hat das Täubchen sich vorne verkeilt, ist aber noch am Zappeln. Was tun? Sonderliches Verlangen das Tier dort rauszuangeln und mit gebrochenen Flügeln am Straßenrand liegen zu lassen, hat keiner von uns. Max kommt eine geniale Idee: Nur ein paar Meter entfernt sitzen ein paar Männer und Frauen und schauen neugierig zu uns Weißen rüber. Max geht auf sie zu und sagt lächelnd: „Look, what I caught for you!“ und deutet auf den Kühlergrill und den zappelnden Vogel. Einer der Männer eilt freudestrahlend herbei und befreit mit einem schnellen Griff den armen Vogel aus Rotkäppchens Maul. Nachdem er nochmals nachgefragt hat, ob Max sich sicher sei, dass wir das Vögelchen nicht zum Abendessen behalten möchten, bedankt er sich überschwänglich. Wir fahren mit gespaltenen Gefühlen weiter – zum einen mit dem unguten Gefühl ein Vogelleben auf dem Gewissen zu haben, zum anderen mit dem Gefühl das Beste aus der Situation gemacht zu haben. Nämlich einer armen Familie eine kostbare Fleischmahlzeit beschert zu haben und gleichzeitig den Vogel nicht unnötig leiden zu lassen.

In Gedanken versunken fahren wir weiter, bis wir zu einem Toll Gate, sprich Mautstation, kommen. Damit hatten wir nicht gerechnet, da in keinem unserer Recherchen eine mautpflichtige Straße vorgekommen war. Daher hatten wir auch an der Grenze kein Geld gewechselt. Und so stehen wir nun vor dem Mauthäuschen mit keinem einzigen Leonie in der Tasche. Was für eine doofe Situation. Die Frage, ob wir mit Karte die umgerechnet geforderten 30 Cent zahlen können, wird verneint. Genauso die Frage, ob wir hier irgendwo Euros gewechselt bekommen. Ein freundlicher Grenzbeamter eilt uns zur Hilfe und erklärt, dass er hier keine Möglichkeit hätte, legal Euros zu tauschen, aber er uns trotzdem helfen möchte. Wir erfahren weiter, dass noch 3 Mautstationen auf dem Weg in die Hauptstadt Freetown mit dem nächstgelegenen Geldautomaten auf uns warten und wir daher umgerechnet 1,20 Euro in Leonie benötigen. Wir sind verzweifelt, da wir schon ahnen gleich die ganze Strecke bis zur Grenze zurückfahren zu müssen.

Er bittet uns kurz zu warten und verschwindet in einem der vom Staate China finanzierten Bürogebäude. Als er zurückkommt, drückt er uns mehrere Geldscheine in die Hand und meint, dass wir damit durch alle Mautstationen bis nach Freetown kommen, um dort Geld abzuheben. Auf die Frage hin, was wir ihm im Gegenzug anbieten dürfen, meint er, dass er nichts annehmen darf und er sich freue, wenn wir gut nach Freetown kommen. Wir können unser Glück und die uns entgegengebrachte Hilfsbereitschaft kaum glauben. Wie würden deutsche Schalterangestellte reagieren, wenn zwei naive Schwarze plötzlich auftauchen und behaupten kein Geld zu haben? Wahrscheinlich leider deutlich weniger kooperativ. 😦

Nach einigen Stunden Fahrt erreichen wir ziemlich erschöpft Freetown. Eigentlich wollten wir erst in ein paar Tagen dort aufschlagen, da es aber scheints nur in der Großstadt Geldautomaten gibt, müssen wir diesen Umweg machen, um die kommenden Tage finanzieren zu können. Also rein in die Großstadt mit Stau und Lärm. Langsam holen uns die letzten unruhigen Nächte ein und die Müdigkeit greift um sich. Trotzdem beschließen wir nach erledigtem Geldwechsel noch weiterzufahren. Wir wollen diese Nacht unbedingt Ruhe haben und Schlaf nachholen und das sollte am Strand doch deutlich leichter sein als irgendwo im Großstadttrubel.

Also wieder rausstauen aus der Stadt und weiter geht die Fahrt. Leider hat uns dabei keiner gesagt, dass die Küstenstraße beinahe unpassierbar ist. Nicht nur ist die Straße nicht asphaltiert und durchsetzt mit Pfützen, Steinen und diverse Passagen die steil bergauf und bergab gehen, sondern sie wird auch von diversen LKWs befahren, die sich lediglich im Schneckentempo ihren Weg bahnen und nur schwer zu überholen sind. Nicht zu erwähnen, dass mindestens auf jedem LKW noch ein bis 10 Personen sitzen, die ohne Rücksicht auf Verluste sich durchschütteln lassen.

Mit den Nerven ziemlich am Ende erreichen wir endlich Bureh Beach und freuen uns auf einen entspannten Nachmittag und Abend am Strand. Dieser scheint garantiert, da Bureh Beach der Ruf einer Rasta-Community vorauseilt und die Jungs, die das Camp betreiben, zwar durchgehend bekifft sein sollen, aber dafür eine mehr als entspannte Atmosphäre versprechen. Der erste Eindruck entspricht auch sofort den Erwartungen und wir parken Rotkäppchen direkt am Strand, ordern essen für abends („we are cooking very slowly, so you should order at least 3 hours in advance“) und stürzen uns in die Wellen. Es hätte alles so schön sein können, wären da nicht die Polizisten am Strand, die zunehmend mehr werden und scheint’s schon teils angetrunken immer mehr den Strand einnehmen. Als plötzlich auch noch große Lautsprecherboxen angeliefert, neben unserem Auto abgeladen und erste Soundchecks durchgeführt werden, ahnen wir Böses. Die bekiffte Belegschaft erklärt uns, dass heute eine Polizeiparty am Strand stattfindet. Sie glauben aber, dass die ganz bald wieder vorbei sein wird. Wir sind da anderer Meinung, da nun Personenmassen per Minibussen an den Strand gekarrt werden und die Polizeiband scheint’s ihre Musikinstrumente in Stellung bringt. Nach kurzer Beratschlagung sind wir uns einig: hier werden wir heute Nacht kein Auge zu machen können und an eine bitter nötige, erholsame Nacht ist nicht zu denken. Also schmeißen wir den Motor von Käppchen wieder an und fliehen aus der Polizeipartyhölle.