Demokratische Republik Kongo – Teil 2: Ein Besuch beim Buscharzt

Die Nacht ist kurz, unruhig und schweißtreibend und ich bin froh, als ich bei Sonnenaufgang mit wackeligen Beinen die Leiter unseres Dachzelts runterklettern kann. So schrecklich hab ich mich glaube ich noch nie gefühlt. Jede Bewegung ist anstrengend und ich bin schon am frühen Morgen völlig erschöpft. Während Max sich ein kleines Frühstück macht und Kaffee kocht, um für die anstehenden Tagesstrapazen gestärkt zu sein, nippe ich an einem Fenchel-Tee und gönne mir zur Abwechslung mal eine Aspirin, um zumindest die Kopfschmerzen und Gliederschmerzen etwas zu lindern.

Der freundliche Herr von gestern Abend, der uns zu später Stunde den Schlafplatz in der Mission organisiert hat, ist auch schon wach und verspricht uns, nach dem Kirchgang gemeinsam mit uns zum örtlichen Arzt zu gehen. Langsam festigt sich nämlich unser Verdacht, dass der gestern doch etwas unprofessionell durchgeführte Malariatest ggfs. doch falsch angewendet wurde und die Diagnose Malaria vielleicht doch nicht so unwahrscheinlich ist. Die Symptome entsprechen 1:1 den Merkblättern zu Malaria, die ich von der Münchner Tropenmedizinerin vor unserer Abreise aus Deutschland in die Hand gedrückt bekommen habe.

Und so trotten wir kurze Zeit später über einen kleinen, ausgetretenen Pfad durch das kleine Dorf, dessen Namen wir nicht einmal kennen, irgendwo in der Demokratischen Republik Kongo, um im wahrsten Sinne des Wortes einen „Buscharzt“ aufzusuchen. Meine schlimmsten Vorstellungen, wie eine Arztpraxis an einem derart abgelegenen Fleckchen Erde aussehen könnte, werden leider mehr als bestätigt. Zwar handelt es sich nicht um eine Lehmhütte, sondern um ein kleines gemauertes Gebäude mit Wellblechdach – doch würde kein gesunder Mensch hier freiwillig einen Fuß über die Schwelle setzen. Wir treten durch die Türöffnung, die mit einem zerfledderten Vorhang die neugierigen Blicke von Passanten abschirmen soll und stehen in Mitten eines karg wirkenden Raumens bestehend aus einem Holzschreibtisch mit einer zerfledderten Kladde, einem Stethoskop, mehreren Stiften und einem freundlich wirkenden Arzt in Badelatschen, der uns anlächelt. Gegenüber vom Schreibtisch ist eine kleiner Bereich abgetrennt. Hier werden scheints die Medikamente aufbewahrt, die ungekühlt und offen verstreut liegenden gelagert werden. Tablettenschachteln, Spritzen und Verbänden sind zu sehen. Neben dem Artzschreibtisch befindet sich zudem eine galgenartig wirkende, wackelige Waage, mit der wohl Neugeborene gewogen werden. Neben dem großen Raum ist zudem noch ein kleines Zimmer zu erkennen – ebenfalls ohne Tür, in der ich ein Bett mit löchrigem Moskitonetz ausmachen kann. Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass ich hier nach der Diagnose nicht bleiben muss.

Jetzt aber erst einmal Augen zu und durch, denke ich mir und nehme auf dem kleinen Holzstuhl gegenüber dem Arzt Platz. Max und ich erläutern holprig und mit Händen und Füßen dem Arzt meine Symptome und er nickt verständnisvoll. Zuerst hört er mich mit dem Stethoskop – das scheints das einzige medizinische Hilfsmittel zusammen mit der Babywaage in der ganzen Artzpraxis zu sein scheint – ab. Dann sagt er, dass wir warten sollen, er würde loslaufen und von einem anderen Dorf einen Malariatest besorgen. 15 Minuten später kommt er freudestrahlend mit einer Schachtel mit einem Malariatest zurück. Da er kein Desinfektionszeug zu haben scheint, sprühe ich selbst etwas von unserem Desinfektionsmittel auf meinen Finger, bevor ein kleiner Pieks mit dem dafür vorgesehenen Piekser (wenn wir den doch gestern gehabt hätten) einen Tropfen Blut zum Vorschein bringt. Der Tropfen wird auf dem Test aufgebracht und 5 Minuten später haben wirs Ergebnis: Kein Malaria.

Das darf doch nicht wahr sein! Alle Symptome deuten eindeutig auf diese fiese Tropenkrankheit hin. Der Arzt aber schüttelt den Kopf und deutet auf ein großes Plakat auf dem handschriftlich und fein säuberlich Symptome und Namen der Krankheit auf französisch festgehalten sind. Seine Diagnose gibt er mit einem Fingerzeigt auf die Krankheit I.R.A., infections respiratoires aigues. Wir haben keine Ahnung, was das bedeutet, doch wie sich später rausstellt, vermutet der ARzt eine „akute Atemwegsinfektion“ und ich soll 6 Paracetamol und zwei andere Tabletten täglich nehmen. Zwar habe ich tatsächlich seit einigen Tagen einen trockenen Husten, aber das ist tatsächlich aktuell meine geringste Sorge – alle anderen Symptome sind deutlich schlimmer. Etwas skeptisch bzgl. der Prognose und dennoch dankbar für seinen Rat, zahlen wir umgerechnet 3€ für die Behandlung und die Medikamente (der Malariatest ist gratis) und gehen zurück zum Auto.

Mit einer etwas fragwürdigen Prognose im Gepäck geht unsere Fahrt also weiter durch die Demokratische Republik Kongo in der Hoffnung, dass die Medikamente tatsächlich wirken. Doch das Gegenteil ist der Fall – auf beinahe unpassierbaren, mit tiefen Furchen ausgewaschene Straßen kämpfen wir uns Kilometer um Kilometer voran, während mein Gesundheitszustand immer schlechter wird. Anfangs schaffe ich es noch mich aus dem Auto zu schleppen und Max über die tiefen Gräben zu lotsen. Doch gegen Mittag werden die Fieberschübe so stark, dass wir anhalten müssen, weil ich meine Beine nicht mehr kontrollieren kann. Der Schüttelfrost ist so heftig, dass mein ganzer Körper unkontrollierbar zu zucken anfängt und nicht einmal Max es schafft meine Beine still zu halten. Nach einem weiteren Fieberschub und zwei weiteren Paracetamol kann die Reise aber schließlich weitergehen. Weder Max noch ich sind in diesem Moment zu beneiden. Nachmittags werden die Fieberschübe so schlimm, dass ich keine Kraft mehr habe aufrecht zu sitzen: Max fährt nun hochkonzentriert unser Rotkäppchen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10km/h durchs Nirvana der Demokratischen Republik Kongo, während ich vollkommen entkräftet im Kofferraum von Rotkäppchen liege und bei jeder Unebenheit der Straße unsanft gegen die Autoinnenwand geschleudert werde.

Es gilt tiefe ausgewaschene Gräben und Furchen zu überwinden – Relikte der letzten Regenzeit

Am späten Nachmittag erreichen wir endlich eine katholische Mission, von der wir schon zuvor gelesen hatten und werden dort freundlich empfangen. Besorgt um meinen Gesundheitszustand, bietet man uns ein kostenloses Zimmer mit kleiner Nasszelle an, doch wir lehnen dankend ab und ziehen den Schlaf im eigenen Zelt vor. Max kocht sich noch ein paar Nudeln und begutachtet sorgenvoll den Dachträger, der aufgrund der schrecklichen Straßenverhältnisse in Mitleidenschaft gezogen wurde (eine Schraube ist gebrochen und muss ausgetauscht werden, um Schäden am Dachträger bzw. auch am Auto zu vermeiden). Ich hingegen werfe mir noch einen neuen Drogenmix ein – dieses Mal ein Breitband-Antibiotika aus Deutschland, da ich der Prognose des Buscharztes und den Medikamenten, die meinen Gesundheitszustand noch mehr zu schwächen scheinen, nicht weiter glauben schenken mag. Ein großer Fehler, wie sich nach wenigen Minuten herausstellt: Mein Magen, der nun schon seit 2 Tagen keine Nahrung, sondern nur Tee und Wasser zu sich genommen hat, angereichert mit einer Mixtur aus Ibuprofen, Aspirin, Paracetamol, dubiose Tabletten vom Buscharzt und nun noch dem Antibiotika streikt. Nachdem ich sämtlichen noch in mir befindlichen Mageninhalte losgeworden bin, liege ich schließlich doch vollkommen ermattet im kleinen Zimmer der Missionsstation, während sich Max sorgenvoll draußen im Zelt schlafenlegt. Doch einen Lichtblick gibt es – ich bin mir sicher, dass ich am absoluten Tiefpunkt meiner Krankheit angekommen bin und bin zuversichtlich, dass es jetzt nur noch besser werden kann!

Um mich weiter zu erholen, beschließen wir einen weiteren Tag in der Mission zu bleiben. Ein Tag für mich zum Durchschnaufen, der dringend notwendig ist! Während ich beinahe den gesamten Tag liegend und schlafend verbringe, ist Max fleißig: Zum einen kümmert er sich um den Austausch der gebrochenen Schraube unseres Dachträgers, geht Geldwechseln, sorgt dafür, dass unsere Zollpapiere fürs Auto abgestempelt werden und kauft eine SIM-Card, mit der wir endlich wieder eine Verbindung zur Außenwelt haben und unsere Familien beruhigen können, die sich schon angefangen haben Sorgen zu machen, da unser Tracking-Gerät immer noch defekt ist. Die Strapazen der letzten Tage lassen wir dabei unerwähnt, wir wollen ja nicht, dass sich jemand Sorgen macht.