Wenn man morgens unter dem Moskitonetz hervorkrabbelt und beim Blick aus dem Fenster malerisch Fischerboote auf dem Morondava Fluss vorbeiziehen sieht, ist man sich sicher, dass dieser Tag ein gelungener Tag werden wird. Dass der Tag allerdings eine vollkommen ungeplante Wendung nehmen sollte, war uns zu diesem Augenblick nicht bewusst.

Unser heutiges Ziel: Belo-sur-Mer
Belo-sur-Mer – das ist ein Dorf an der Westküste Madagaskars, das nur per Landweg bei zunehmenden Mond besucht werden kann. Ansonsten kommt man dort nur per Fischerboot hin, da der Wasserstand zu hoch ist, um diesen mit dem Auto zu durchqueren. Und selbst wenn man den richtigen Mond erwischt hat, sorgen diverse Wasserdurchfahrten und Sandpisten dafür, dass einem die Anreise nicht gerade leicht gemacht wird. Ein perfekter Ort für Individualtouristen wie uns, die abseits der Standard-Touri-Pfade (sofern es diese wirklich auf Madagaskar schon gibt?) Abenteuer erleben wollen. Das Ganze gepaart mit feinem Sandstrand und tollen Schnorchelmöglichkeiten – was will man mehr?
Da unsere Internetrecherche kaum Infos zur Anreise ergeben hatte, haben wir am Abend zuvor noch einen örtlichen „Driver“ interviewt, der gestern aus Belo-sur-Mer zurückkam. Dieser bestätigte uns, dass die Strecke gerade noch befahrbar sei. Als ich allerdings auf seine Frage „Where is your driver?“ mit dem Finger auf Max zeigend „That’s him!“ antwortete, schüttelte er zweifelnd den Kopf und meinte, das wäre keine gute Idee. Die Tatsache, dass wir ohne Fahrer durch Madagaskar reisen, sollte auch in den folgenden Wochen noch für Belustigung & mitleidiges Kopfschütteln sorgen – vollkommen zu Unrecht, wie Max innerhalb der drei Wochen & 4.000 unfallfreien Kilometern bewies!
Where is your driver?
Leicht nervös, allerdings voller Abenteuerlust, machen wir uns am frühen Morgen schließlich mit Hilfe von „Maps.me“ – einer Open Source Street Karten-App fürs Handy auf den Weg gen Belo-sur-Mer. Kaum sind wir aus der Stadt raus, zeigt uns die App an, die befestigte Straße zu verlassen und auf einer Sandpiste vorbei an diversen Bauern mit ihren Ochsen-Karren ins Nirvana abzubiegen. Ohne die einigermaßen präzisen Angaben von Maps.me hätten wir uns spätestens nach 10 Minuten hoffnungslos verfahren. Jetzt muss nur der Akku so lange durchhalten, bis wir nach Belo-sur-Mer kommen! Das Auflanden des Handys am Zigarettenanzünder des Mitsubishi ist aufgrund der holprigen Piste nahezu aussichtslos. So kurven wir ca. 45min mit 15km/h über Stock & Stein, um schließlich vor dem Fluss Morondava zum Stehen zu kommen. Die erste Flussdurchfahrt erwartet uns…
Flussdurchfahrt
Bei jeder Flussdurchfahrt sollte man sich immer mehrere Fragen stellen, bevor man aufs Gaspedal drückt & den Fluss durchquert:
(a) Wie tief ist das Wasser wirklich? Oft scheint das Wasser vom Ufer aus harmlos, bei näherer Betrachtung erweist es sich dann doch als hüfttief. (b) Ist der Untergrund fest genug, oder sinkt das Fahrzeug noch tiefer ein? (c) Was tun, wenn man sich festfährt? Wie groß sind die Chancen, dass man heil wieder rauskommt?
(d) Von welcher Position aus macht man das coolste Foto von der Flussdurchquerung?
Nachdem wir das erste Stück des Flusses durchwatet hatten und wir (a) mit „knietief“ beantworten konnten, die Antwort auf (b) auch einigermaßen zufriedenstellend ausfiel und wir am anderen Ufer ein paar spielende Kinder ausmachen konnten, die uns sicher gerne gegen ein paar Ariary helfen würden, den Mitsubishi aus dem Wasser zu schieben, positioniere ich mich mit der Kamera bewaffnet in der Flussmitte, um Max bei der Durchfahrt zu fotografieren. Während Max seine Aufgabe bravourös meistert, bin ich die ganze Zeit hin- und hergerissen zwischen „Wegschauen & Hände vors Gesicht reißen“ und „Fotografieren“. Die Fotodoku zur Flussdurchquerung seht ihr hier:
Wegzoll für die Dorfgemeinschaft
Kaum haben wir diese doch sehr abenteuerliche Durchquerung überstanden, erwartet uns schon die nächste Herausforderung: Dieses Mal in Form einer sehr geschäftstüchtigen Dorfgemeinschaft.
Nachdem wir auf der anderen Uferseite den Hang wieder hochgefahren sind, wartet ein regelrechtes Empfangs-Komitee bestehend aus Frauen und Kindern auf uns. Ein Schlagbaum wurde vorsorglich quer über der „Straße“ angebracht, um jeden Passanten einmal zum Stehenbleiben zu zwingen. Trotz Sprachbarriere verstehen wir sehr schnell, was uns die vermeintlich Dorfälteste freundlich, aber bestimmt sagen möchte: Die Dorfgemeinschaft erwartete einen Wegzoll, sofern wir ernsthaft vorhaben hier weiterzufahren und dabei einmal durch ihr Dorf zu rollen. Wir stellen uns zunächst dumm und beschließen auszusteigen. Da wir von ca. 20 mit Rotz verschmierten Kindern mit lumpigen Kleidern umringt sind, holen wir ein paar Süßigkeiten aus dem Kofferraum – vielleicht reicht ja die süße Bestechung aus, um weiterfahren zu können. Grundsätzlich widerstrebt uns jegliche Form der Bestechung & Geschenke ohne Gegenleistung – egal ob es sich dabei um Polizisten, Grenzbeamte oder eben der lokalen Bevölkerung handelt. Aber was hilfts? Nach ausgiebiger Fotosession mit der Dorfgemeinschaft, großer Freude über die Süßigkeiten und 50 Cent Wegzoll, die wir nun zähneknirschend doch überreichen, um endlich weiterfahren zu können, starten wir den Motor.
Doch nachdem wir einmal um die Ecke abgebogen sind, nach 500 Metern das gleiche Spiel – nur mit anderer Besetzung: Dieses Mal erwarten uns die Männer des Dorfes und wollen ebenfalls Wegzoll. Während die Bekanntschaft mit den Frauen & lachenden Kindern noch irgendwie unterhaltsam war, sind wir nun doch etwas genervt. Doch es hilft nichts – nach 30 Minuten Verhandlungen auf Französisch, Malagassy und Bayerisch, jeder Menge Gelächter, geben wir nach. Allerdings vereinbaren wir per Handschlag, dass wir bei der Rückfahrt nichts mehr bezahlen werden. Zumindest etwas!

Benzinverlust & madagassische Autowerkstatt
Flussdurchquerung – check, Wegzoll – check. Was soll jetzt noch kommen, denken wir uns und versuchen ein paar Kilometer Wegstrecke auf immer sandigeren Pisten hinter uns zu bringen. Doch das plötzliche Aufleuchten der Hinweislampe für den Allrad verheißt nichts Gutes. Ohne Allrad sind alle vor- & hinter uns liegenden Flüsse und auch der tiefe Sand nicht wirklich zu bewältigen. Ein kurzer Blick von Max unters Auto gibt zwar Entwarnung für die Allradfunktionalität, dafür haben wir ein ganz anderes Problem.
Tropf, tropf, tropf… Wir verlieren stetig Benzin.
Nach kurzer Diskussion & Abwägen der Wahrscheinlichkeit bei derartigem Kraftstoff-Verlust es einmal nach Belo-sur-Mer und wieder zurück zu schaffen, siegt die Vernunft. Wir drehen um. Vorbei an der etwas verdutzten und gleichzeitig besorgt aussehenden Dorfgemeinschaft (ohne erneut Wegzoll zu bezahlen!), mit Schwung durch den Fluss und zurück nach Morondava.
Nach einer 1-stündigen Suche und diversen erfolglosen Befragungen der Passanten nach einer „station de service“, werden wir endlich fündig. Direkt an der Hauptstraße im Hinterhof einer Großfamilie befindet sich eine Autowerkstatt. Jetzt heißt es abwarten und Daumen drücken, dass die Jungs in ihrer „Freiluftwerkstatt“ eine zündende Idee haben, wie sie unseren Benzintank wieder repariert bekommen. Nachdem das Problem verstanden, der Preis für die Reparatur verhandelt (umgerechnet 15€) und die voraussichtliche Bearbeitungszeit (4h) besprochen sind, machen sich die Jungs ans Werk und beginnen per Ansaugen mit dem Mund den noch fast vollen Benzintank mit Hilfe eines Schlauchs in einen großen Waschbottich zu leeren. Wir beschließen die Zeit sinnvoll zu nutzen und machen uns auf in Richtung Straßenmarkt. Neben Obst, Gemüse und einem Plastikschneidebrett kaufen wir frisch in Öl frittierte Gemüse-, Zwiebel- & Fleischbällchen an einem der vielen Marktstände. Lecker!
Die restliche vier-stündigen Wartezeit verbringen wir im Hinterhof der Autowerkstatt damit, den Kindern des Werkstattbesitzers mit Bildern aus dem Reiseführer die Tierwelt Madagaskars näherzubringen oder voller Staunen und Entsetzen die Reparatur unseres Fahrzeugs zu beobachten. Das Schweißen eines gerade noch eben komplett gefüllten Benzintanks ohne Schutzbekleidung verursacht dann doch gemischte Gefühle in einem. Doch dann ist der Tank geflickt, wieder ans Fahrzeug geschraubt und das Benzin wird in ebenfalls abenteuerlichen Methode (auf einem Tisch neben dem Auto stehend) wieder in den Tank zurückgeführt. Wir können weiterfahren. Dass wir bereits ein paar Tage später als Stammgäste wieder bei dieser Autowerkstatt aufschlagen würden, war uns zu dem Zeitpunkt zum Glück nicht bewusst. Vielmehr wollten wir nur noch eins: Raus aus Morondava.
Richtungswechsel: Tsingy de Bemaraha
Aufgrund der bereits stark fortgeschrittenen Zeit entscheiden wir uns Belo-sur-Mer Belo-sur-Mer sein zu lassen und stattdessen Richtung Norden aufzubrechen. Wir wollen noch ein paar Kilometer in Richtung Tsingy de Bemaraha fahren, einem absoluten landschaftlichen Highlight Madagaskars. Die beim nächsten Tank-stopp verursachte riesige Benzinlake unterm Auto & das wieder einsetzende Tropfen des Tanks gibt uns zwar nicht wirklich ein gutes Gefühl beim Verlassen der Stadt, aber die Vorstellung erneut zur Autowerkstatt fahren zu müssen und den Tank nochmals runterbauen zu lassen, erscheint uns keine wirkliche Alternative.

Mit einem Reservebenzinkanister bewaffnet biegen wir also auf eine breite, sandige Piste gen Norden ab. Wir sind um die Tageszeit (15:30 Uhr) nicht die Einzigen, die in diese Richtung die Stadt verlassen, da sich einige Kilometer nördlich die bei Touristen sehr bekannte Baobab Allee befindet. Eine Ansammlung von mehreren Affenbrotbäumen links & rechts der Straße, die vor allem bei Abenddämmerung tolle Erinnerungsbilder verspricht. Zwar wussten wir, dass dieser Spot sehr beliebt ist, dass sich hier allerdings ein Stau und Verkehrschaos bilden könnte, war ungewöhnlich. Und tatsächlich, wir haben das „Glück“ in eine religiöse Massenveranstaltung zu fahren. Mehrere tausend Gläubige in weißen Gewändern und mit weißen Hüten ausgestattet lassen sich per Mini-Busshuttles hierher karren, um auf der Baobab Allee zu flanieren – und wir mitten drin! So viel zu dem Sicherheitshinweis des auswärtigen Amtes:
Größere Menschenansammlungen & Massenkundgebungen sollten stets gemieden werden.
Allerdings ist es nicht unsere Sicherheit, sondern vielmehr die fortschreitende Tageszeit, die uns Sorgen bereitet. Ohne konkrete Idee wo wir heute nächtigen werden in Kombination mit sehr schlechten Straßenverhältnissen, einem tropfenden Auto und nur noch 1,5 Stunden Zeit bevor die Sonne untergeht, geben wir Gas und lassen die Baobab Allee schnell hinter uns.

Die erste potenzielle Anlaufstelle zum Übernachten – der Park
Réserve spéciale d’Andranomena – empfängt uns mit heruntergelassenem Schlagbaum und ohne Menschen weit & breit. Auch die Telefonnummer auf dem heruntergekommenen Schild scheint nicht zu funktionieren. Also müssen wir weiter… Langsam wird die Fahrt in der Dämmerung mit dichtem Trockenwald links & recht und seit über einer Stunde keinem Gegenverkehr unheimlich. Wir wären das perfekte Opfer für einen Raubüberfall. Aber dieser Gedanke ist schnell verworfen, als wir überglücklich das Schild „Camp Amoureux“ und kurz dahinter eine wunderschöne & gepflegte Anlage mit befestigten Zelten entdecken. Das Camp wird sehr liebevoll von einheimischen geführt und hat seinen Namen von einem in sich verschlungenen Baobab-Baum, der aussieht wie ein sich küssendes Liebespaar. Hier bleiben wir!
Da wir an dem Tag ja noch nicht genug erlebt haben, entscheiden wir uns spontan zu einer Nachtwanderung durch den Trockenwald mit einem der örtlichen Guides. Mit Taschenlampen bewaffnet und jeder Menge Insektenspray am Körper geht’s eine Stunde durchs Gebüsch und wir bekommen als sehr versöhnlichen Abschluss Chamäleons, Geckos, Mini-Maus-Makis (erinnern einen sehr an das Kinderspielzeug „Furby“ aus den 90ern) und „schlafende Vögel“ vor die Linse. Nach einem kühlen Bier und einer Tüte Chips vor unserem Zelt in Gesellschaft mit einer niedlichen Mini-Maus-Maki Familie fallen wir zufrieden ins Bett. Was für ein Tag!