Angola – Teil 9: Tundavala – nochmal Glück gehabt!

Das Rauschen der Brandung holt uns bei Sonnenaufgang aus dem Schlaf. Als wir den Kopf aus dem Dachzelt strecken, liegt die einsame Bucht von Binga uns zu Füßen und trotz der noch vorherrschenden Morgenkälte können wir es kaum erwarten im Hellen die Bucht zu erkunden.

Aber first things first: Frühstücken. Und was könnte es Besseres an einem derart schönen Morgen geben, als an diesem beeindruckenden Platz Kaiserschmarren zu machen?

Gut gestärkt machen wir uns mit Foto & Handy bewaffnet auf zu einem kleinen Spaziergang am Meer. Unzählige einsame Buchten reihen sich hier an der Steilküste aneinander. Leider ist das Meer zu kalt & wild, um schwimmend von einer Bucht in die nächste zu gelangen und auch eine Kletterpartie über die steilen Felswände zur nächsten Bucht ist nicht gerade einfach. Da bleiben wir lieber in der Nähe der Binga Bay und beobachten die unzähligen Krebse, die hier mit ihren langen Scheren am Wasser entlangflitzen.

Dieser Ort ist wunderschön und lädt zum Verweilen ein – kein Wunder, dass hier einige Overlander vor uns gemäß der App-Einträge auf iOverlander teils mehrere Tage oder gar Wochen verbracht haben, bis ihnen die Wasser-& Essens-Vorräte ausgingen und sie gezwungen waren, diese einsame Bucht zu verlassen.

Wir versuchen all diese schönen Eindrücke mit Kamera & mittels Drohenflug so gut es geht einzufangen, bevor wir uns am späten Vormittag wieder auf die Weiterfahrt über die holprige Straße zurück zur mindestens genauso holprigen Hauptstraße zu machen.

Die nicht enden wollende holprige Hauptstraße gen Süden

Bei der sehr beschwerlichen Fahrt in Schneckentempo zieht die Landschaft nur sehr langsam an uns vorbei und gibt uns die Gelegenheit wilde Böcke am Wegesrand zu erspähen. Die Landschaft wird hügeliger und liegt malerisch, wie gezeichnet, vor uns. Nachdem wir die ersten Hügel überwunden haben, sehen wir vollkommen unerwartet vor uns eine neu geteerte und makellose Asphaltstraße zusammen mit einer nagelneuen Tankstelle. Es wirkt so surreal – als hätte man versehentlich 100 Kilometer Hauptstraße vergessen zu bauen, die eigentlich den Nord-& Südteil des Landes problemlos verbinden und den Warenfluss vereinfachen könnte. Wie kann es sein, dass ein eigentlich reiches Land wie Angola (zumindest was seine Rohstoffvorkommen angeht) es nicht fertig bringt, diesen wichtigen Streckenabschnitt infrastrukturell so zu verbinden, um damit eine wirtschaftliche Schwachstelle zu schließen? Uns bleibt nicht viel Zeit darüber den Kopf zu schütteln. Vielmehr genießen wir den glatten Asphalt unter Rotkäppchens Reifen und fahren weiter gen Süden, durch kaum bewohntes oder gar bewirtschaftetes Land, das einer Wüstenlandschaft gleicht.

Da der Himmel leicht bewölkt ist, sich leichter Regen und Sturm ankündigt und hier weit und breit keine offizielle Übernachtungsmöglichkeit zu sein scheint, halten wir schon früh Ausschau nach einem passenden Übernachtungsplatz. Als die Straße einen leichten Linksknick macht und nun wie schnurgerade parallel zur Küste verläuft, empfängt uns roter Sandstein, der sich in bizarren Formationen über Kilometer am Meer entlang windet. Die Szenerie ist bezaubern und trotz des nicht sonderlich freundlichen Wetters freuen wir uns auf die nächste Übernachtung unter freiem Himmel. Nach einigen gescheiterten Anläufen rechts von der Straße einen geeigneten, windgeschützten und nicht von der Straße einsehbaren Stellplatz zu finden, entdecken wir schließlich den perfekten Schlafplatz: Wildromantik pur empfängt uns nur wenige hundert Meter entfernt von der kaum befahrenen Hauptstraße direkt am Meer. Wasser hat hier tiefe Gräben in den roten Sandstein gewaschen und bietet damit die perfekten Auskerbungen, um unser Rotkäppchen wind- und wettergeschützt in einer uneinsehbaren Bucht zu parken. Erneut ein traumhafter Wildcampingplatz mit Meerrauschen – wir sind begeistert.

Nachdem wir noch etwas Treibholz am Meer gesammelt haben, um ein kleines Feuer zu entfachen, bricht schon die Dunkelheit über uns herein und wir klettern kurze Zeit später ins Dachzelt, um erneut unter Meeresrauschen einschlafen zu dürfen.

Während die Nacht stürmisch und feucht war, scheint morgens die Sonne aufs und ins Zelt. Da steht man doch gleich viel lieber auf.

Nach einem Drohnenflug & einem kurzen Frühstück verlassen wir unsere rote Sandsteinbucht und fahren weiter entlang der geraden Küstenstraße in Richtung Lubango. Die Strecke ist abwechslungsreich und dennoch liegt das Highlight des Tages noch vor uns: Der Pass Serra da Leba – eine Passstraße, die sich über Kilometer den steilen Felsgraben emporschlängelt und sowohl von unten als auch von oben einen gigantischen Ausblick verspricht. Wir kommen aus dem Staunen kaum raus und können teils unseren Augen nicht trauen, wie gigantisch schön Angola doch ist. Wie konnten wir den Berichten glauben, dass Angola kein nennenswertes Reiseland ist? Dieses Land ist eins der vielen unberührten Juwelen Afrikas und eigentlich traurig, dass diese Schönheit nur wenigen Touristen bisher vorbehalten ist.

Kurze Verschnaufspause für Rotkäppchen auf der Passstraße
Serra da Leba Pass

Am obersten Punkt des Passes gibt es ein kleines Ausflugslokal namens Serra da Leba Bar – das aktuell geschlossen zu haben scheint. Wir sind hier beinahe alleine und können so bei ein paar selbstbelegten Broten den Blick auf die sich wie eine Schlange nach oben schlängelnde Straße mit einigen liegengebliebenen LKWs und Miniatur-Autos beobachten, die sich nach und nach den Weg nach oben oder unten kämpfen. Ein Ort zum Verweilen und Staunen.

Was für ein toller Ausblick – Serra da Leba Pass
Ich könnte hier ewig sitzen und in die Weite blicken…

Nach der Mittagspause geht’s weiter nach Lubango, einer wuseligen und nicht sonderlich einladenden Stadt, in der wir einen kurzen Stopp zum Tanken und Aufstocken unserer Wasser- & Lebensmittelvorräte einlegen. Doch unser eigentliches Ziel ist die Schlucht von Tundavala (portugiesisch: Fenda da Tundavala).

Dieser Aussichtspunkt ist landesweit bekannt und gibt am Rande der Schlucht auf 2200 m Höhe den Blick auf die 1.000 Meter tiefere Ebene frei. Der Ausblick ist gigantisch und bis auf die zwei Parkplatzwächter und zwei bettelnde Kinder ist hier keine Menschenseele weit & breit. So viel zur landesweit bekannten Sehenswürdigkeit von Angola – Tundavala. Wir bekommen von diesem Ort nicht genug und können nicht genug Bilder von der tollen Landschaft knipsen. Der Blick in die Tiefe der Schlucht lässt einen schwindelig werden und gleichzeitig kann man sich an dem weitläufigen Blick auf die Ebene zu Füßen der Schlucht kaum satt sehen.

Doch es wird Zeit sich erneut Gedanken über die heutige Übernachtungsstätte zu machen. Eigentlich wäre hier an der Schlucht ein optimaler Camping-Spot, den auch schon viele Reisende vor uns als unvergleichliches Erlebnis aufgrund der wunderschönen Sonnenunter- & aufgänge bezeichnet haben. Doch die Nachricht, dass eine Woche zuvor der alleinreisende Holländer Michiel, den wir in der Republik Konto in Pointe-Noire getroffen hatten, genau hier überfallen worden war und mehrere Stunden gefesselt und mit seinem eigenen Messer bedroht mit den Gangstern verbringen musste, bis sie ihn dann im Schutze der Dunkelheit zu einem Geldautomaten in Lubango gebracht hatten, um dort Geld abzuheben und ihm dann seiner Wertgegenstände zu berauben (Laptop, Kamera & Co.), lässt uns zögern. Wie wahrscheinlich ist es, dass genau die gleichen Ganoven nochmals am gleichen Ort zuschlagen und sich hier an unschuldigen Touristen vergreifen? Die Parkwächter, die unsere Gedanken erraten zu haben scheinen, fragen uns, wo wir denn vorhaben, die Nacht zu verbringen. Sie warnen uns eindringlich, in die Stadt Lubango zu fahren und dort eine Unterkunft zu suchen, da es hier oben zu Übergriffen gekommen sei und daher dieser Fleck leider bei Einbruch der Dunkelheit nicht sicher wäre.

Wir zögern – dieser Ort ist so magisch, dass wir uns dieses Erlebnis nicht entgehen lassen möchten. Gleichzeitig ist die Aussicht auf einen Überfall durch bewaffnete Räuber angsteinflößend und das letzte, was wir auf unserer Reise erleben möchten. Wir beschließen die Entscheidung noch etwas zu vertagen und fahren mit Rotkäppchen einige Kilometer an der kleinen, steinigen Straße der Schlucht entlang in der Hoffnung hier eine einsame Stelle zu finden, an der wir uns ggfs. sicherer fühlen. Dabei passieren wir neben einem dubios aussehenden Kleinwagen auch ein Familienauto, aus dem eine Mutter mit drei kleinen Kindern und einem Hund steigt und sich zu einer kleinen Wanderung aufmacht. Wenn sich hier Mütter mit ihren Kleinkindern trauen allein wandern zu gehen, dann kann es ja wohl nicht so gefährlich sein – reden wir uns ein und fassen den unvernünftigen Entschluss aller Warnungen und Ängste zum Trotz heute Nacht hier an der Tundavala-Schlucht wild zu campen. Nach einigem Suchen finden wir nahe dem offiziellen Besucherparkplatz hinter zwei großen Felsen einen Stellplatz. Wir reden uns ein, dass man von hier aus deutlich schneller flüchten könnte, als an einem sehr abgelegenen Fleck weiter weg von der Hauptstraße. Zwar kann man uns hier auch deutlich schneller finden, aber das Gegenargument versuchen wir zu verdrängen – der Platz ist einfach zu schön. Zudem planen wir heute Nacht im Wageninneren mit verschlossenen Türen zu schlafen, anstatt das Dachzelt aufzuklappen. Damit können wir zum einen schnell mit dem Wagen flüchten, zum anderen uns im Inneren des Autos zumindest kurzzeitig verschanzen. So der Plan.

Doch bis die Nacht über uns hereinbricht bleiben noch einige Stunden und wir versuchen die negativen Gedanken und das etwas mulmige Gefühl uns für die Nacht aufzusparen und den Moment zu genießen. Mit Fernglas, einem Bier und Pfefferspray bzw. Max mit einem Messer zur Verteidigung bewaffnet, beobachten wir die Landschaft, die großen Vögel, die über dem steilen Abhang kreisen und die immer tiefer stehende Sonne. Dieser Camping-Spot wird wohl neben dem Ort Tafraoute in Marokko mit den großen bunten Felsen in die Liste der beeindruckendsten Übernachtungsorte unserer Afrika-Reise eingehen.

Zwar versuchen wir uns nie zu weit vom Auto zu entfernen und immer wachsam die umliegende Landschaft im Blick zu behalten, doch dieser Ort ist einfach zu schön, um nicht die ein oder andere Minute die Gedanken schweifen zu lassen und einfach nur glücklich zu sein, dass man das erleben darf. Als die Sonne beinahe untergegangen ist, hören wir Motorengeräusche. Schnell gehen wir zum Auto zurück und beobachten, wie ein kleiner Pkw sich die holprige Steinstraße entlangkämpft und einige hundert Meter von uns entfernt am Abhang stehen bleibt. Es scheint sich um ein einheimisches Liebespaar zu handeln, die hier oben den romantischen Sonnenuntergang genießen wollen – puh, Entwarnung.

Sonnenuntergang – einfach unglaublich schön

Als die Dunkelheit über uns hereinbricht, ziehen wir uns ins Innere von Rotkäppchen zurück und verriegeln die Türen unseres Fahrzeugs. Max legt das große Brotmesser und das Pfefferspray griffbereit hinter unseren Köpfen auf die Armablage und dann wünschen wir uns eine gute Nacht. Doch an Schlaf ist im ersten Moment nicht zu denken – dafür schlägt mein Herz noch viel zu schnell und jedes ungewohnte Geräusch lässt mich zusammenschrecken. Doch es ist lediglich der Wind, der immer wieder an unserem Auto rüttelt – ansonsten bleibt die Nacht ruhig und wir klettern etwas mitgenommen von der angespannten Nacht bei Sonnenaufgang aus dem Kofferraum von Rotkäppchen.

Alles gut gegangen – Sonnenaufgang am nächsten Morgen

Wir werden von einem bunten Farbspiel am Himmel über dem Steilhang Serra da Leba begrüßt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl am Rand der Klippe auf 2.200 Meter zu stehen, die kalte, frische Morgenluft im Gesicht zu spüren und auf die 1.200 Meter tiefer gelegene Ebene zu blicken. Unsere Angst vom Vorabend scheint lächerlich und unbegründet und nachdem wir uns am Morgenhimmel sattgesehen haben, fahren wir wie euphorisiert durch den Steingarten, den wir bereits am Tag zuvor bei der Anfahrt nach Tundavala passiert hatten und machen dort spontan Halt, um einen kleinen morgendlichen Kletter-Spaziergang durch die surrealen Felsformationen, die an eine Mondlandschaft erinnern, zu unternehmen.

Als wir schließlich wieder zurück auf der Teerstraße sind und den Weg in Richtung Lubango runterrollen, erhalten wir eine Nachricht innerhalb unseres WhatsApp Chats mit anderen Overlandern, die uns kurz das Blut in den Adern erstarren lässt: Vorgestern, so heißt es in der Nachricht, sei an dem gleichen Ort, an dem der Niederländer Michele überfallen worden war, erneut ein Reisender mit dem geklauten Messer des Niederländers überfallen und all seiner Wertgegenstände beraubt worden. Dem Geschädigten gehe es persönlich gut, aber der Verlust des Hab & Guts und der Schock sitzen tief. Wir fühlen uns wie geohrfeigt. Was für ein Glück – einen Tag früher hätte der Morgen deutlich düsterer aussehen können. Unsere Naivität beschämt uns und die Nachricht lässt uns gegenseitig schwören, dass wir nie wieder auf dieser Reise unseren Schutzengel derart herausfordern werden. Egal, wie traumhaft die Landschaft und wie einzigartig das Erlebnis auch sein mag!

Manchmal – so sagen wir uns – muss man aber auch einfach mal Glück haben…

Mal Hand aufs Herz – Wer von euch hätte sich diesen Sonnenuntergang tatsächlich entgehen lassen?