Demokratische Republik Kongo – Teil 3: Krankenhausbesuch im Kongo – das wünschst du niemanden!

Nach einem Tag und zwei Nächten Dauerschlaf scheint sich mein Gesundheitszustand verbessert zu haben. Ich fühle mich deutlich stabiler und Max und ich fassen den Entschluss von der Mission aufzubrechen und nach Ma Tadi zu fahren, von wo aus wir die Fähre über den Kongo River nehmen wollen. Wir verabschieden uns von den überaus hilfsbereiten und freundlichen Männern der katholischen Mission und schenken Ihnen noch einige unserer aus Deutschland mitgebrachten Fußballtrikots zum Dank für Ihre Gastfreundschaft. So viel Herzlichkeit ohne die Erwartung einer Gegenleistung ist unglaublich und wir sind unendlich dankbar.

Am Fähranleger angekommen, werden wir bereits von einer langen Schlange bestehend aus Lastwägen und kleinen Mini-Bussen empfangen. Wir sind zwar mehr als eine Stunde vor der angeblicher Ablagezeit vor Ort, aber es herrscht bereits reger Betrieb und die Chance auf das erste Boot zu kommen, schwindet. Während Max mit den auf den ersten Blick etwas zwielichtigen LKW-Fahrern und Bewohnern des kleinen Dorfes palavert und versucht an ein Fährticket für die erste Fähre zu kommen, hänge ich auf dem Beifahrersitz und merke, dass meine Energie vom Morgen zunehmend schwindet.

Nach dem Kauf von kleinen Broten und Schmalzgebäck und ein paar Fotos mit den LKW-Fahrern, haben wir Glück und dürfen als einziges Auto zwischen den ansonsten großen LKWs mit auf das Fährboot. Auf der ca. 20-minütigen Überfahrt zum anderen Ufer – auf der ich normalerweise ausgestiegen und zig Fotos geschossen hätte, kann ich mich kaum noch in meinem Sitz halten und bin den Tränen nahe.

Unser Entschluss steht fest – wir müssen ins Krankenhaus. Sicher am anderen Ufer angekommen gilt es also schnellstmöglich auf eine wieder gut befahrbare Straße zu kommen und dann so schnell wie möglich in die nächstgelegene Stadt mit Aussicht auf einen Doktor oder ein Krankenhaus. Nach einer endlosen, qualvollen Fahrt an die ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern kann, erreichen wir eine vollkommen überfüllte, chaotische Stadt. Überall laufen Menschen – rechts und links oder auch auf der Straße. Mofas schlängeln sich halsbrecherisch zwischen den sich stauenden, hupenden Autos. Abgase, der Geruch von Garküchen am Straßenrand und Müll mischen sich ineinander während wir uns langsam durch die heiße Straße kämpfen. Hühner laufen über die Straßenbahn und Max und ich versuchen Ruhe zu bewahren und trotz der Hektik ein Krankenhaus anhand von Inschriften an den Gebäuden bzw. Malereien an den Hauswänden auszumachen. Nach einer nicht enden wollenden Horrorfahrt durch diese engen, chaotischen Straßen machen wir endlich am rechten Straßenrand ein verblichenes Schild aus, das ein L’hôpital anzeigt. Das was uns aber dort erwartet, lässt uns kurz an der Existenz eins Krankenhauses zweifeln. Wir parken vor einer zerfallenen Steinmauer, hinter der ein kleineres, aber ebenfalls baufälliges Gebäude zu erkennen ist, vor dem zig Menschen sitzen und stehen. Im gesunden Zustand hätten mich keine zehn Pferde in dieses Gebäude gebracht, nun aber – vollkommen geschwächt und der Ernsthaftigkeit der Situation bewusst – schleppe ich mich auf Max‘ Arm gestützt in Richtung des Gebäudes. Krankenhaus-Besuch im Kongo – das war definitiv das Letzte, was ich mir auf dieser Reise gewünscht habe!

Zu Recht, wie sich gleich bei Eintritt ins Gebäude und den ersten Blick ins Innere herausstellt. Es empfängt uns ein lauter, stickiger und geschäftig-wuseliger Warteraum in dem Mütter mit ihren Kindern auf dem Arm auf wackeligen Holzstühlen sitzen und stillen, während an anderer Stelle Patienten auf den Stühlen schlafen. Verwunderte Blicke empfangen uns. Doch bevor wir auf einem der in die Tage gekommenen Holzstühle Platz nehmen können, werden wir sogleich von einer Krankenschwester ins Visier genommen und ich werde – ohne Nachfrage welche Krankheit oder Beschwerden ich habe – auf eine in der Mitte des Raumes befindlichen hölzerne Waage gestellt. Während ich rechts von der Krankenschwester und links von Max mit wackeligen Beinen gehalten werde, versucht eine zweite Krankenschwester den Regelschieber in der Mitte der Waage so lange hin und herzuschieben, bis mein Gewicht festgestellt werden kann. Eine für mich endlose Tortour, da ich mit letzer Kraft und Schweißperlen auf der Stirn versuche mich gegen die mir andauernd wegklappenden Beine zu wehren. Mein Körper ist am Ende und ich bekomme es immer mehr mit der Angst zu tun. Endlich kommt man zu dem Entschluss, dass es wohl sinnvoll wäre, mich hinzulegen. Ich werde von Max und der Krankenschwester in ein Doppelzimmer getragen. Dort empfängt uns ein Bild wie aus Fernsehberichterstattungen in Kriesengebieten: Auf der rechten Seite des Raumes steht ein zerfleddertes Bett, auf dem eine junge Frau liegt. Daneben sitzt eine Verwandte – wahrscheinlich die Mutter der jungen Frau und versucht sie gerade zu füttern. Auf dem freien Bett sitzt der vermeintliche kleine Junge der kranken Frau, der bis zu unserer Ankunft darauf scheint gespielt zu haben und nun vom Bett weggescheucht wird. Eine dünne Matratze, die von einem mit Flecken übersäten Bettbezug bedeckt ist, empfängt mich. Einfach nicht hinterfragen, denke ich mir. Genauso möchte man die dunklen in diversen braunen und roten Nuancen schillernden Flecken an den Wänden nicht weiter interpretieren. Mir ist in diesem Moment alles egal. Ich lasse mich aufs Bett fallen und bin einfach nur froh liegen zu können. Doch als die Schwester ohne Handschuh mit einer großen Spritze, deren Inhalt bereits aufgezogen wurde, zielsicher auf mich zukommt, schwindet diese Einstellung und ich richte mich auf. Man kann nicht feststellen, ob diese Spritze gerade frisch aus einer sterilen Verpackung oder doch vom vorangegangenen Behandlungstisch kam. Wenn das hier alles gut geht und die mich hier aufgepäppelt bekommen, will ich nicht mit irgendeiner schlimmen Folgekrankheit wie z.B. HIV hier aus dem Krankenhaus rauskommen. Angsterfüllt und mit letzter Kraft versuche ich auf Französisch der Krankenschwester klar zu machen, dass ich definitiv diese Spritze nicht in meinem Arm wissen will, während Max lossprintet, um aus dem Auto unsere medizinischen Vorräte zu durchwühlen und neue Spritzen, steril verpackte Nadeln, Einweghandschuhe und Desinfektionsmittel zu holen. Die Schwester schaut mich mit empörten und unverständnisvollen Blick an und rammt mir dann widerwillig die von uns bereitgestellte Spritze in den Arm, nachdem sie sich die von Max gereichten Einweghandschuhe angezogen hat. Während ich nur noch die Augen schließen kann und darauf hoffe, dass die mir verabreichte Spritze (mit welchem Mittel eigentlich?) Wirkung zeigt, kümmert sich Max liebevoll darum, dass die immer wieder reinlurenden Patienten und Krankenhausbesucher, für die ich als „weiße Patientin“ eine Sensation zu sein scheine, vertrieben werden. Die Krankenschwester erscheint erneut – dieses Mal mit einem Arzt in weißem Kittel (mit Aufschrift „Metzgerei Maier“) im Schlepptau. Man berät sich und beschließt mir einen Tropf zu legen mit u.a. Chinin. Max meint dazu nur, dass das ja gut sein müsse, da es immerhin auch im Gin Tonic enthalten ist. Mir ist in diesem Moment weniger zu scherzen zu Mute. Ein kleiner Holzaufbau, der mich stark an einen Holz-Galgen erinnert, wird neben meinem Bett aufgebaut und ein Tropf mit durchsichtiger Flüßigkeit drangehängt. Die von uns mitgebrachten Schläuche werden abermals widerwillig verwendet, dieses Mal aber ohne Einweghandschuhe. Da wir die Krankenschwester nicht weiter verärgern und gegen uns aufbringen wollen, akzeptieren wir diese hygienische Nachlässigkeit.

Nach und nach scheinen die mir eingeflößten Mitteln zu wirken und ich fange an wieder mehr um mich herum wahrzunehmen und einen etwas stabileren Kreislauf zu bekommen. Zu meinem Leidwesen beginne ich dabei aber auch immer mehr wahrzunehmen, wo ich mich gerade befinde: In der reinsten Hölle. Alles um mich herum ist dreckig, fleckig und verbreitet einen strengen Geruch. Es ist heiß und laut – auf dem Gang hört man immer wieder lautes Geschrei und man fragt sich, wie hier jemand tatsächlich gesund werden kann. Nach längerem Betteln und Diskutieren schafft Max es schließlich ein Einzelzimmer für mich zu organisieren. Auch wenn ich mir nicht vorstellen will, wie jemand anderes wegen mir wahrscheinlich dieses Zimmer räumen musste, bin ich in diesem Moment sehr dankbar dem Doppelzimmer mit dem spielenden Kind und der jungen Patientin entkommen zu sein. Hier habe ich sogar eine kleine Nasszelle, in der man seine Notdurft verrichten kann – auch wenn dabei sowohl fließendes Wasser als auch Seife oder dergleichen nicht vorhanden sind und man am liebsten diesen Ort gar nicht aufsuchen würde.

 

Während ich versuche trotz des Lärms vor dem Fenster und der andauernd sich öffnenden Zimmertür durch die sich viele neugierige Köpfe vom Krankenhauspersonal oder aber auch Besucher stecken, um einen Blick auf die weiße Patientin zu erhaschen, zu schlafen – versucht Max zeitgleich mit den Krankenhauspersonal Kosten für meinen Aufenthalt zu verhandeln. Tatsächlich scheint man mit den vermeintlich ersten weißen Krankenhausbesuchern richtig Kasse machen zu wollen und die angeschlagenen Kosten im Schwesternzimmer, die klar die Preise für einen Krankenhausaufenthalt ausweisen, scheinen nicht für uns zu gelten. Grundsätzlich sind wir ja dankbar für die Hilfe und medizinische Unterstützung, dennoch wollen wir uns hier für einen Aufenthalt in diesem Krankenhaus mit fragwürdigen hygienischen Zuständen auch nicht übers Ohr hauen lassen – vor allem da unsere finanziellen Mittel in der Landeswährung beinahe aufgebraucht sind und wir wissen, dass wir unsere mitgenommenen US-Dollar noch dringend für den Grenzübergang nach Angola benötigt werden.

Am späten Nachmittag bekomme ich erneut Besuch von der Krankenschwester – auf die Nachfrage hin, was denn jetzt der Plan wäre, erhalte ich die Aussage: Abwarten und noch weiter am Tropf hängen. Eine Blutprobe, um rauszufinden, was ich denn genau habe, könne man derzeit leider nicht machen, da heute Samstag sei und der zuständige Labormitarbeiter erst am Montag – d.h. in zwei Tagen – wieder das Labor für Blutanalysen öffenen würde. Da wir aber weder vor haben hier länger als nötig Zeit zu verbringen und am Sonntag über die Grenze müssen, um noch mit gültigen Visen das Land zu verlassen, lassen wir so lange nicht locker, bis man uns zusichert, dass heut noch ein Angestellter aus dem Labor bei mir vorbeikommt, um eine Blutprobe zu nehmen.

Als dann der Laborangestellte fröhlich strahlend ins Zimmer tritt, geht es im ersten Moment nicht um die Blutabnahme, sondern ums Geschäftliche. Zuerst möchte er Geldscheine sehen, bevor er sich an die Arbeit macht, mir Blut abzunehmen und dieses anschließend zu untersuchen. Nachdem wir einen unverhältnismäßig hohen Betrag Cash auf die Hand übergeben haben, mit der Zusicherung im Nachgang noch eine offizielle Rechnung für unsere Auslandskrankenversicherung zu erhalten, macht sich der Arzt an die Blutabnahme. Als Max kurzzeitig von einer anderen Krankenschwester aus dem Zimmer zitiert wird, bin ich mit dem Laborarzt und der Krankenschwester allein. Dieser nutzt die Gunst der Stunde und meinen labilen Zustand, um kurzerhand der Krankenschwester, während er die mit Blut gefüllte Spritze noch in meinem Arm gedrückt hält, sein Handy in die Hand zu drücken und sie um ein Foto mit seiner weißen Patientin zu bitten. Da es so gut läuft, holt er auch noch die Krankenschwester auf meine andere Seite und wir machen zu Dritt ein Selfie. Wäre ich nicht in dieser miserablen Situation, hätte ich lauthals loslachen müssen. Dieses skurrile Bild erlebt man nur im Krankenhaus in der demokratischen Republik Kongo! Als Max die Tür aufmacht und das Schauspiel erblickt, ist aber Schluss mit lustig. Der Laborarzt erkennt, dass er etwas zu weit gegangen ist und verlässt mit meiner Blutprobe das Zimmer. 3 Stunden später, kurz vor Einbruch der Dämmerung erhalten wir schließlich das Ergebnis: Man konnte in meinem Blut nichts feststellen – ich hätte zwar generell keine guten Werte, aber so richtig eine Krankheit hätte man mir nicht nachweisen können. Trotzdem sind sie sich sicher, dass die Symptome eindeutig auf Malaria hinweisen und mir werden jede Menge Schmerzmittel, übelriechende Vitamintabletten und eine weitere Portion Flüssigkeit per Tropf verabreicht.

Wohl die schlimmste Nacht in Afrika beginnt: Während Max versucht es sich im Hof des Krankenhauses in unserem Dachzelt gemütlich zu machen, obwohl im Innenhof heute Abend in ohrenbetäubender Lautstärke ein Film vorgeführt wird – vor allem um die vielen Patienten vor dem Krankenhaus, die sich die Pflege in einem Zimmer nicht leisten können, abzulenken, wälze ich mich in dem übel riechenden Zimmer hin und her und versuche die sich immer wieder öffnende Türe und den Lärm vorm Fenster zu ignorieren und möglichst viel Schlaf abzubekommen.

Mein Krankenhaus im Kongo – da geht man nicht freiwillig rein.

Am nächsten Tag geht es mir dank der vielen Flüssigkeit und den aufpäppelnden Mitteln sowie Schmerztabletten wieder deutlich besser und wir sind froh, als wir endlich wieder im Auto sitzen. Diese haarsträubende Erfahrung im Krankenhaus hat einem wieder einmal vor Augen geführt, wie privilegiert wir leben, welchen Luxus wir hinsichtlich unseres Gesundheitssystems für selbstverständlich erachten und wie erbärmlich die medizinische Versorgungslage in Ländern wie dem Kongo sind. Die Mütter mit ihren teil schwer kranken Kindern auf den Treppen vorm Krankenhaus zu sehen, ist niederschmetternd. Die meisten der Patienten können sich kein Zimmer im Krankenhaus leisten und müssen bei mehr als 40 Grad in der sengenden Hitze vor dem Krankenhaus ausharren, um an medizinische Versorgung zu kommen. Zudem sind die Patienten zu 100% von der Pflege durch Angehörige abhängig. Hat man keine Verwandten, die bereit sind sich um einen zu kümmern, erhält man auch kein Getränk oder gar Essen. Weiterhin geschwächt und etwas geschockt von den vielen einschneidenden Erlebnissen der letzten Stunden  machen wir uns also auf zur Grenze Luvo – um noch am heutigen Tag die Demokratische Republik Kongo hinter uns zu lassen und nach Angola auszureisen.

Noch ist mir nicht bewusst, wie viel Glück ich hatte, dass ich noch rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen bin und wichtige Malariamedikamente verabreicht bekommen habe. Erst als wir Monate später zurück in Deutschland sind und mir tatsächlich Malaria Tropica in meinem Blut nachgewiesen werden kann, erfahre ich, dass man meist nach 5 Tagen ohne Behandlung mit bleibenden Schäden oder gar tödlichen Verläufen der Krankheit rechnen muss. Nochmal Glück gehabt!

Spannende Mitfahrgelegenheit im Kofferraum – auf dem Weg zur Grenze nach Angola